Nina Julie Lepique ist überzeugt, dass Frauen häufiger zu ihrem Kopfkino masturbieren als zu visueller Pornografie. Das ganze Treiben spiele sich in der Fantasie ab. Den Gedanken weitergeführt, entwickelte Lepique 2018 eine Audio-Plattform für Erotik namens Femtasy. Im Interview mit dem stern spricht sie über ihre Beweggründe für die Firmengründung, über Vorurteile, die ihr entgegenschlugen und über die Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Masturbation.
Frau Lepique, die weibliche Lust ist Ihr Geschäftsmodell – als Sie ursprünglich die Idee für eine Audio-Erotik-Plattform bei Freunden, Familie und Investoren gepitcht haben, wie war das Echo? Gab es Vorurteile oder gar negative Einwände?
Femtasy war die weltweit erste Streaming-Plattform für Audio Erotik – und deshalb gab es auf jeden Fall den ein oder anderen überraschten Blick. Niemand hatte bisher von diesem Konzept gehört. Hinzu kommt, dass wir einfach alle "Generation Porn" sind und mit visuellem, auf die männliche Zielgruppe ausgerichteten, kostenlosen Mainstream-Porn sozialisiert wurden. Und dann kam ich, die gesagt hat: "Das machen wir jetzt alles mal radikal anders." Die Plattform ist komplett auf Frauen ausgerichtet, funktioniert nur mit Audio (nein, wirklich gar kein Video!), ist ethisch produziert und bewusst so konzipiert, dass wir uns von Schönheitsidealen, die im Porno ja besonders wichtig sind, distanzieren. Da war zu Beginn der Gründungs-Reise quasi jede Reaktion dabei: von belächelt werden und "Das soll funktionieren?" bis hin zu sofortiger Begeisterung und "Endlich gibt es sowas!".
Wie sind Sie mit der Kritik umgegangen?
Mit viel Resilienz – und dem Bewusstsein darüber, dass Menschen häufig aus Unsicherheit so reagieren. Unsicherheit, weil Sexualität – und vor allem Masturbation, dann noch von Frauen – leider immer noch stark stigmatisiert und tabuisiert werden. Unsicherheit darüber, was ihre Reaktion jetzt über ihre eigene Sexualität aussagt. Und Unsicherheit, wie sie auf mich – eine junge Frau mit damals 23 oder 24 Jahren – reagieren sollten, die einer ganzen Industrie den Kampf ansagt. Heute ist Audio Erotik ein feststehender Begriff und viele Menschen in Deutschland haben schon mal davon gehört. Diesen Wandel hin zu einem viel ethischeren, geschlechter-gerechteren und gesünderen Konsum von Erotik und Pornos haben wir federführend vorangetrieben und geprägt, das macht mich stolz.
Warum ist Selbstbefriedigung in der Gesellschaft noch immer so verpönt?
Altlasten aus der Religion mal beiseite; Selbstbefriedigung stellt für einige Leute nach wie vor eine Art Bedrohung dar. Wir sehen immer wieder, dass Masturbation gerade in Partnerschaften noch ein kritisches Thema ist. Gerne wird Masturbation mit fehlender Befriedigung im Sexleben gleichgesetzt und wird nicht als "normaler Teil" des sexuellen Repertoires angesehen. Generell ist sexuelle Lust für viele noch sehr schambehaftet und in dem Kontext ist Selbstbefriedigung ja die ultimative Hingabe dieser Lust – etwas, das man wirklich nur und ganz allein für sich selbst tut. Ohne Erwartung, ohne Verpflichtung, ohne Transaktion und 100 Prozent selbstbestimmt.
Männer gelten als visuell erregbarer als Frauen, neigen eher dazu, sich Pornos anzuschauen, wohingegen Frauen auch vielfach zu ihrem Kopfkino masturbieren – haben Sie eine Erklärung dafür?
Das wird tatsächlich immer wieder in Studien herausgefunden, aber eine genaue Erklärung dafür zu finden, ist schwierig. "Männer sind visuelle Wesen" hört man ja häufig, aber sind Frauen das nicht in gewisser Weise auch – zumindest in Lebensbereichen wie Mode, Inneneinrichtung oder Kunst?

Frauen werden durch Schönheitsideale in Pornos beim Masturbieren unter Druck gesetzt
Aber Sie selbst erschufen Audio Erotik für Frauen ohne Video – warum?
Die Schlussfolgerung kommt in meinen Augen aus zwei Richtungen: Einerseits daher, dass Frauen viel stärker unter der Bewertung und dem Druck rund um Schönheitsideale stehen. Da ist die Konfrontation mit visuellem Porno leider auch oft schmerzhaft – denn, ganz ehrlich, wer sieht schon wirklich so aus wie die Frauen in den Filmen? Audio ist eine wunderbare Lösung für dieses Problem, denn wenn wir die Storyline beschreiben, kann sich jede Hörerin und jeder Hörer darunter vorstellen, wer ihr oder ihm gefällt. Außerdem distanzieren wir uns bewusst von Schönheitsidealen, und die Audios sind "body-neutral" – das heißt, dass wir uns darauf fokussieren, wie uns unser Körper fühlen lässt anstatt darauf, wie er aussieht. Andererseits ist ein großes Problem, dass die Szenarien und Dynamiken in visueller Mainstream-Pornografie vorwiegend für Männer, also auf den sogenannten "Male Gaze", ausgelegt sind. Dass Frauen bei dem Angebot lieber auf das eigene Kopfkino zurückgreifen, ist für mich ein Zeichen dafür, dass ein großes Verlangen nach Alternativen besteht. Das finden wir auch in unserer eigenen Studie wieder: 50 Prozent der deutschen Frauen wünschen sich eine kreativere Form der sexuellen Stimulation.
Wo ist der darüber hinaus größte Unterschied bei der weiblichen und männlichen Selbstbefriedigung?
Der Akt selbst unterscheidet sich tatsächlich nicht sonderlich. Es wird gerne so dargestellt, dass Frauen sich zuerst ein Bad einlaufen lassen, seichte Musik anmachen und ein paar Kerzen anzünden, bevor es losgeht. Das stimmt in den meisten Fällen einfach nicht. Es gibt inzwischen einige Studien, die belegen, dass Frauen und Männer sich in Dauer und Häufigkeit der Masturbation kaum unterscheiden. Und das sehen wir auch bei Femtasy: Es gibt Nutzerinnen, die sich nur einmal im Monat einloggen und andere, die sind täglich, manchmal mehrmals am Tag dabei.
Ist bei Frauen die Stimmung wichtiger als der reine Trieb?
Ich würde beides gar nicht so voneinander abgrenzen und vielmehr sagen "Stimmung macht den Trieb!". Frauen können genauso von einer rein körperlichen Lust überkommen werden, die augenscheinlich aus dem Nichts kommt, und rein körperlich, fast animalisch ist. Und je mehr die Stimmung stimmt, desto kleiner die Distanz zur Erregung. Aber was bedeutet Stimmung denn überhaupt? Man sagt gerne "Das Vorspiel beginnt, wenn der letzte Orgasmus endet". Das heißt, es ist nicht erst der Kuss am Hals, der einen in Fahrt bringt – je nach Love Language sind es die Komplimente, das Spielen mit ihren Haaren, kleine Überraschungen, oder proaktive Unterstützung bei Alltagsaufgaben sein, die die Grundsteine für ihre Lust im Alltag legen. Diese vermeintlichen Kleinigkeiten sind so elementar für die weibliche Lust!
Masturbieren zum Feindbild: Viele haben sich schon mal jemanden dabei vorgestellt, den sie eigentlich gar nicht leiden können – wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Das ist das, was ich an unserer Fantasie so liebe – es gibt einfach keine Grenzen. Besser noch, in unserer Fantasie können wir mit unseren eigenen Grenzen spielen. Was wir durch die Abrufe ganz klar sehen können: Welche Fantasien Leute haben, hat häufig nichts mit dem zu tun, was sie im echten Leben tatsächlich machen würden. Ein Dreier ist im Kopfkino eine super heiße Vorstellung, würde einen aber vielleicht im wahren Leben eifersüchtig machen. Genauso ist es mit dem Feindbild: Man kann jemanden im wahren Leben nicht leiden und dennoch sexuell anziehend finden. Warum also nicht in der Fantasie erkunden? Es hat auch definitiv seinen Reiz sich vorzustellen, dass die sexuelle Anziehung so stark ist, dass sie alle Konflikte überschattet – das ist doch perfektes Futter für ein explosives Szenario!
Haben sie schon mal vom Stress-Masturbieren gehört und wenn ja, was halten Sie davon?
Solange es nicht in Zwangsverhalten übergeht, finde ich jeden Grund zu masturbieren total legitim. Stressabfuhr ist der eine, viele masturbieren auch um besser einschlafen zu können. Masturbieren hat einen beruhigenden Effekt und schüttet übrigens Cannabinoid-ähnliche Stoffe aus. Ich würde mal behaupten: Lieber masturbieren, als zu anderen Mitteln greifen, oder?
Was ist das beliebteste Audioformat bei Femtasy?
Unsere "360 Audios"! Das steht für 360 Grad, also ein räumliches Audio-Erlebnis, das an Virtual Reality grenzt. Durch eine innovative Aufnahmetechnik ist es möglich, die Sounds und Stimmen so aufzunehmen, dass man sie später aus allen Richtungen hört. Das heißt: Kopfhörer an und du bist mitten im Geschehen – und der absolute Main Character. In einer Dreier-Fantasie hört man dann beispielsweise zwei Stimmen aus zwei verschiedenen Richtungen, das ist ein absolut immersives Audio-Erlebnis, was unseren Nutzern besonders gefällt!