Modetrends auf TikTok klatschen sich im nahezu wöchentlichen Rhythmus ab. Über das soziale Netzwerk verbreiten sich Modetrends – meist an dem Zusatz "-core", "Aesthetic" oder "Girl" erkennbar – in rasanter Geschwindigkeit. Die einzelnen Strömungen beschreiben nicht nur den Kleidungsstil, sondern eine Art Lebenseinstellung: Die Videos zum jeweiligen Trend zeigen häufig Zusammenschnitte von Outfits, Orten, Filmen, Büchern und Hobbies, die zur Stilrichtung passen sollen.
TikTok ist das Schlüsselelement bei der Entstehung von Mikrotrends
Es entsteht ein einheitliches Gesamtbild, das Millionen von Klicks sammelt, in wenigen Wochen aber wieder in Vergessenheit gerät. Deshalb spricht man auch von Mikotrends. "Während Trends im Allgemeinen sich immer weiterentwickeln und nachhaltiger wirken, sind Mikrotrends schnelllebig und können rasch an Beliebtheit gewinnen und verlieren", erläutert Stefan Tewes Trend-Forscher und Direktor des Zukunftsinstituts im Gespräch mit dem stern.
Soziale Netzwerke, insbesondere TikTok, sind laut dem Experten "unbestreitbar zu Schlüsselelementen bei der Entstehung und Popularisierung von Mikrotrends geworden". Der Algorithmus kann ein einzelnes Video innerhalb weniger Stunden zu einem viralen Hit machen. "Was besonders faszinierend ist, ist die globale Reichweite von TikTok", sagt Stefan Tewes. Diese ermöglicht eine kulturelle Verschmelzung, wobei "Trends aus verschiedenen Teilen der Welt aufgegriffen und adaptiert werden".
Mikrotrends stehen für Zugehörigkeit und Gemeinschaft
Oft reagieren TikTok-Nutzer unmittelbar auf aktuelle Ereignisse, was wiederum neue Trends hervorbringen kann. Und spätestens wenn reichweitenstarke Influencer die Themen und Motive aufgreifen, ist die Verbreitung eines neuen Mikrotrends nicht mehr aufzuhalten.
Vor allem in der Generation Z finden die kurzlebigen Strömungen Anklang. Sich einem Mikrotrend zuzuordnen, stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Damit erfüllen die Modetrends ein Bedürfnis, das in der jungen, verunsicherten Generation besonders hoch ist, erklärt Erziehungswissenschaftlerin Nina Kolleck im Gespräch mit dem stern.
Das Erwachsenwerden der Generation Z läuft vor dem Hintergrund globaler Krisen – Corona, Krieg, Klima – ab. Das Bedürfnis nach Sicherheit und unbeschwerten Zeiten ist umso höher. Genau das findet sich in vielen Mikro-Trends wieder. Die "Vanilla Girls" ziehen sich in die Geborgenheit ihres perfekten Zuhauses zurück. Wer dem "Old Money"-Stil nacheifert, sehnt sich möglicherweise nach (finanzieller) Stabilität. Die "Tomato Girl" sehen sich nach längst vergangenen Zeiten in Südeuropa, "Cottagecore"-Anhänger romantisieren das langsame, friedliche Landleben. Die modischen Strömungen werden somit zu einer kreativen Strategie der Krisenbewältigung.