Beim Bouldern wird ohne Sicherung geklettert. Absturz oder Spaßfaktor? Wir haben es ausprobiert.
"Also Bouldern, das ist Klettern ohne Seil und Sicherung in Absprunghöhe", erklärt der Mann, der mir beibringen soll, wie das geht, dieses Bouldern. Meine Augen wandern langsam vom Fuß der weißen Wand mit den bunten Plastikgriffen bis ganz nach oben. Das sind gute 3-4 Meter. Der Boden ist zwar gepolstert, aber Absprunghöhe? I doubt it.
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Ich habe mich vor Kurzem entschieden, endlich einen Sport zu finden, der mir Spaß macht und stehe deshalb mit einer Gruppe anderer Anfänger in der Kletterhalle. Obwohl wir die Wand noch nicht einmal betreten haben, bin ich schon komplett eingeschüchtert. Kann man Höhenangst auch vom Boden aus entwickeln? Wenn ja, passiert mir das in diesem Moment.
Klettern für Stadtkinder
Eigentlich hatte ich gegen Bouldern immer einen ganzen Sack voll Vorurteile. Zum ersten Mal hatte ich von dem Sport nämlich von der auf schon unheimliche Weise dauermotivierten Startup-Fraktion meines Bekanntenkreises gehört - und alles, was diese Menschen tun, ist mir erst einmal immer ein wenig suspekt. Bouldern klang für mich wie die nächste Trendsportart, die die Helden der stickerbeklebten Laptops aus Amerika importieren, um sich hip zu fühlen.
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"Weißt du, Bouldern ist super! Man strengt sich nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig an, um den richtigen Weg für ein Problem zu finden!", wurde mir immer und immer wieder vorgeschwärmt. Ein Problem ist übrigens eine Route, die man klettert. Dabei darf man nur Griffe einer bestimmten Farbe benutzen, um vom Start zum Ziel zu gelangen. Aber mal ehrlich: Ich habe in meinem Alltag genug Probleme, die ich lösen muss. Eigentlich brauche ich das beim Sport nicht auch noch. Dachte ich.
Körper vs. Schwerkraft
Trotzdem stehe ich jetzt vor der weißen Wand mit den bunten Griffen und bereite mich geistig auf mein erstes Problem vor. Hinter meinen Vorurteilen fiel mir nämlich irgendwann auf, dass das doch gar nicht so schlecht klingt: Klettern hatte ich bisher nur einmal gemacht, aber großen Spaß daran gefunden, fürs Bouldern braucht man keine Tonnen an Equipment und trainiert trotzdem den kompletten Körper. Was mich letztendlich aus dem Fitnessstudio vertrieben hatte, war die Sinnlosigkeit der Bewegung dort: Eine Maschine, ein Muskel, kein tieferer Sinn außer Ästhetik. Beim Bouldern dagegen hat die Anstrengung der Muskeln sehr wohl einen Zweck, wie ich schnell merke: Den Zweck, nicht zu sterben.
Hoch, höher... und dann?
Ja, ich dramatisiere, aber sobald man an der Wand hängt, sind 2 Meter plötzlich verdammt hoch. Gerade zu Beginn auf den leichteren Strecken ist man schnell vom vorgegebenen Startpunkt zum Zielpunkt geklettert - doch dann beginnen die Probleme erst: Wie kommt man aus der vollen Höhe der Wand wieder nach unten? Ich dachte, ich hätte keine Höhenangst, aber ohne Sicherung in einer Höhe, aus der man normalerweise niemals abspringen würde, wird plötzlich überdeutlich, dass gerade nur die eigenen Muskeln dafür sorgen, dass man nicht abstürzt. Die komplette Probestunde über fühle ich mich, als hätte mir jemand vier Espresso in die Blutbahn gespritzt: Hallo, Adrenalin.
Sozial, selbstsicher, super!
Eine Dame aus der Runde berichtet, ihr sei das Bouldern quasi "verordnet" worden - für mehr Selbstvertrauen. Keine schlechte Idee, denn wer beim Klettern nicht auf die eigene Kraft und Taktik vertraut, stürzt ab. Oder bleibt hängen. Als ich zum dritten Mal an derselben Stelle der Wand hänge wie ein nasser Sack, ruft mir ein anderer Boulderer zu "Nicht hängen bleiben! Du musst direkt weitermachen!" Dass ich normalerweise nicht so gut in zwischenmenschlicher Interaktion bin, merkt man vielleicht daran, dass ich im Internet arbeite. Trotzdem fällt es mir in dieser Umgebung plötzlich leicht, mit Fremden zu sprechen, mit einem Typen verabrede ich mich sogar direkt zum gemeinsamen Bouldern.
Oops, I would do it again...
Also ja, ich werde es wieder tun. Meine Vorurteile waren unbegründet, denn Bouldern ist, zumindest nach dem ersten Test, ein ganz wunderbarer, sozialer Sport, der am nächsten Tag das angenehme Gefühl von "Mein ganzer Körper hat Dinge getan, die nichts mit Schreibtischen zu tun haben" beschert. Auch, wenn viele Videos von Profis unfassbar einschüchternd aussehen: Bouldern geht auch als absoluter Anfänger. Das Frustrationspotential steigt natürlich mit den Anforderungen der Probleme, aber umso großartiger das Gefühl, wenn man es endlich schafft!
Bis ich drei Meter für "Absprunghöhe" halte, vergehen aber sicher noch die ein oder andere Kletterstunde...
Für alle, die dem Klettern ohne Sicherung auch nicht abgeneigt sind, gibt es zum Beispiel hier eine Liste mit deutschen Boulderhallen. Diese ist aber sicher nicht vollständig, in immer mehr Städten entstehen Hallen speziell zum Bouldern. Dort kann man oft auch Kurse mitmachen, um nicht vollkommen ohne Anleitung an der Wand zu hängen!