Palina Rojinski ist Moderatorin, Schauspielerin und zweifache deutsche Meisterin in rhythmischer Sportgymnastik. Bevor sie das deutsche Fernsehen eroberte, studierte sie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Freddie Mercury war meine erste große Liebe. Nicht nur, weil er so imposant singen konnte, sondern auch, weil er einen tollen Überbiss hatte. Ich verknallte mich in Freddies schiefe Zähne, als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war. Meine Familie lebte damals in Sankt Petersburg, meiner Heimatstadt, die in der damaligen Sowjetunion noch Leningrad hieß. Wir wohnten in einer Plattenbausiedlung, alles um mich herum war grau. Für die Kinder im Viertel gab es nur einen einzigen Spielplatz, auf dem eine rostige Schaukel stand. Sie quietschte jedes Mal, wenn man sich draufsetzte.
In diese Welt knallte Freddie rein: Eines Tages schleppten meine Eltern ein eckiges schwarzes Ding nach Hause, so groß wie ein dickeres Buch. Eine VHS-Kassette. Ich glaube, meine Eltern hatten sie und auch den Videorekorder auf dem Schwarzmarkt besorgt. Kurze Zeit später sah ich in unserem Fernseher eine seltsame Männertruppe. Sie sang in einer Sprache, die mir als russischem Kind vollkommen fremd war, und kleidete sich auf eine Art, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Die Truppe hieße Queen, erklärte mir meine Mutter. Ich war sofort verloren. Queen und ich, das war Liebe auf den ersten Blick. Von morgens bis abends quengelte ich meine Eltern an, sie sollten doch bitte das Band mit den Konzertmitschnitten und den Musikvideos einlegen. Schon um sechs Uhr morgens stand ich vor dem Fernseher in unserem Wohnzimmer, tanzte und sang die Queen-Songs in meinem Kinderzimmer-Englisch mit. Dieses Videoband war damals für mich nicht irgendeine VHS-Kassette – sondern meine tägliche Dosis Euphorie.
Palina Rojinski kam mit sechs Jahren nach Deutschland
Nichts konnte meine Liebe zu Queen stoppen. Nicht einmal Freddies Tod 1991. Ich liebte ihn einfach weiter, und zwar so sehr, dass ich ihn beziehungsweise meine VHS-Kassette eines Tages kaputt geliebt hatte: Kurz nachdem mein sechsjähriges Ich und meine Eltern in Berlin im Asylbewerberheim angekommen waren, riss das Videoband.Eine Katastrophe! Youtube, iTunes und Spotify gab es ja damals noch nicht. Die Musik auf dem Band war unwiederbringlich verloren. Ich trauerte wochenlang. Auch weil die Kassette für mich ein wenig Heimat war. Sie bedeutete Vertrautheit in der Fremde, die Kopplung an mein altes Ich in der Sowjetunion, eine physisch transportable Erinnerung. Die Tatsache, dass Freddie genau wie ich ein Migrationskind gewesen war – er wurde in Sansibar geboren und ging als 17-Jähriger mit seinen Eltern nach London –, verstärkte das Gefühl der Verbundenheit zusätzlich. Als Ersatz schenkten meine Eltern mir eine Musikkassette. Auch wenn die nur einen schwachen Trost darstellte für mein früheres VHS-Band, war sie mir heilig. Als ich mit zehn Jahren ins Sportinternat in die Nähe von Stuttgart zog, um rhythmische Sportgymnastik zu trainieren, hatte ich natürlich Queen im Gepäck; wieder wurde die Musik zu einem Fixstern in der Ferne.
Mein Lieblingslied von Queen ist „Bohemian Rhapsody“. Ein genialer Song! Für mich steckt darin eine Analogie auf das Leben: Die sechs Minuten und sieben Sekunden beginnen langsam und zart mit Klaviermusik, der Song steigert sich immer weiter hoch, wird schneller, bis zu seinem Höhepunkt, einem Opernpart gefolgt von einem Gitarrensolo, um gegen Ende wieder abzufallen. Genau so ist es doch im Leben: Als kleines Kind hast du noch ewig Zeit, später dreht sich alles immer schneller, das Erwachsenenleben kann total verrückt sein – bis du im Alter wieder ruhiger und gelassener wirst. Ich mag die Energie, die aus der Musik von Queen spricht. Meinen Hang zur Theatralik und zur Extravaganz habe ich ganz klar Freddie Mercury zu verdanken. Schon mit zehn Jahren habe ich kleine Konzerte und Modenschauen für meine Freundinnen im Internat veranstaltet. Freddie Mercury war früh ein Vorbild für mich. Er schaffte es, in der Fremde zu einem der berühmtesten Künstler aller Zeiten zu werden. Ohne je inhaltslos zu sein. Im Gegenteil: Er war ein fantastischer Musiker, angetrieben von einer erstaunlichen Produktivität und Leidenschaft. Das imponiert mir bis heute immer noch sehr.
Mit Musik und Tanz gegen negative Gefühle
Momentan höre ich zwar viel Dancehall, Reggae und HipHop, aber ich habe Queen immer auf meinem iPod, jederzeit griffbereit. Musik ist sehr wichtig für mich; ich höre eigentlich immer Musik. Direkt nach dem Aufstehen, beim Autofahren oder wenn ich mich bei einem Dreh auf eine bestimmte Filmszene vorbereite. Manchmal schnappe ich mir auch meine beste Freundin Luise, dann setzen wir uns ins Auto, drehen „Don’t Stop Me Now“ auf und cruisen die Frankfurter oder Schönhauser Allee in Berlin entlang. Wir singen laut mit und werfen an jeder roten Ampel euphorisch die Arme in die Luft.
Manche Entdeckungen, die man als Kind macht, bleiben einem eben ein Leben lang. Queen ist für mich die wichtigste.
