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Gibt es sie bei euch noch? Anstrengend, aber schön: ein Plädoyer für die klassische Familienfeier

Eine Familienfeier in den 30er Jahren
Familienfeiern – man liebt sie oder man hasst sie
© akg-images/ / Picture Alliance
Seit einigen Jahren bleiben bei uns weiße Tischdecken und das gute Porzellan im Schrank. Geburtstage und Co. feiern wir "ganz entspannt" auf dem Sofa. Schick macht sich keiner mehr. Aber warum nicht? Familienfeiern können doch auch nett sein!

Jetzt, wo Weihnachten näher rückt, höre ich immer wieder aus allen Richtungen die teils genervten, teils amüsierten Berichte über die alljährlichen Familienfeiern: zu viel Essen; die Tante, die gern Kirschlikör trinkt; der Onkel, der die AfD gar nicht so schlecht findet; die Eltern, die bohrend nach dem Planungsstand möglicher Enkelkinder fragen; allgemeines Chaos; Lächeln und Zusammenreißen; schlechte Witze oder offener Streit. Den ein oder anderen Aspekt solcher Anekdoten kennt wohl jeder. Aber gibt es bei euch diese "klassischen" Familienfeiern überhaupt noch?

Meine ganze Kindheit und auch frühe Jugend hindurch gab es sie bei uns zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Geburtstage, Weihnachten, Ostern, Konfirmationen, Hochzeiten. Wenn es in unserer Familie so weit war, wurden mehrere große Tische zu einer langen Tafel zusammengestellt und mit steifen, blitzweißen Tischdecken bedeckt. Meine Mutter holte die guten Kerzenleuchter raus sowie das gute Porzellan, und wir konnten sie zwei Tage lang nicht ansprechen, weil sie in der Küche damit beschäftigt war, eine Torte nach der anderen zu backen und einen Braten vorzubereiten, samt Rotkohl und Kroketten. Wir Kinder wurden in unsere besten Kleidchen und kratzigen Wollstrumpfhosen gesteckt und "adrett" zurechtgebürstet. Auch die Verwandtschaft warf sich in Schale und duftete geschlossen nach Kölnisch Wasser.

Man sieht die Verwandten mal wieder

Ich muss gestehen, dass es meist bei diesen fröhlichen Familientreffen einen Punkt gab, an dem mir die lautstarken Unterhaltungen kurz ein bisschen zu viel wurden und ich eine Verschnaufpause in meinem Zimmer brauchte. Aber eigentlich, und damit stehe ich womöglich allein da, bin ich ein großer Fan von Familienfeiern. Es ist eine kurze Unterbrechung des immer gleichen Alltags. Man hat einen Grund, sich ein bisschen schick zu machen, sieht auf einen Schlag seine ganze Familie wieder und kann sich auf den neuesten Stand bringen. Vielleicht habe ich das Glück, dass ich meine Familie durchweg gern mag und nicht den Klischee-Nazi-Verwandten unter meinen Angehörigen habe. Ihre Eigenheiten haben und hatten natürlich auch meine Verwandten. Aber das ist ja völlig okay, die habe ich definitiv auch selbst.

Seit jedoch in den letzten zehn Jahren die Generation meiner Großeltern nach und nach verstorben ist – mein Opa, meine Omas, meine Großtanten, die älteren Nachbarinnen – bleiben die weißen Tischdecken und Kerzenleuchter im Schrank. Geburtstage feiern inzwischen die meisten meiner Verwandten allein. Es scheint, als wären die Feiern eigentlich nur für die ältere Generation veranstaltet worden, weil diese das so kannte und erwartete. Jetzt, wo diese Instanz fehlt, rafft sich kaum noch jemand auf. Gelegentlich wird diese Entwicklung gar wie eine Befreiung verstanden – wir könnten ja jetzt ganz lässig, ganz entspannt feiern. Keine kratzigen Strumpfhosen mehr, keinen Rotkohl und keinen Stress.

Aber lässig und entspannt sind wir doch jeden Tag, oder? Und seit die Verbindlichkeit, die konkreten Einladungen und das traditionelle Familienfeierprogramm fehlen, bleibt es bei Geburtstagen innerhalb der Verwandtschaft oft bei einem Anruf oder einer hastigen Stippvisite zum Kaffee. Ist das wirklich besser? Mit Teilen meiner Verwandtschaft habe ich seit Monaten und Jahren nicht ausführlich gesprochen, weil ichschon lange in einer weiter entfernten Stadt arbeite und es meist nur zu besonderen Anlässen "nach Hause" in mein Heimatdorf schaffe. Das wären immer schöne Gelegenheiten, mal wieder alle zu sehen – aber als hätte man sich abgesprochen, gibt es seit Jahren fast keine dieser Feiern mehr. Onkel, Tanten und Cousinen, denen ich meine ganze Kindheit über wirklich nah war, werden mir immer fremder. Ich finde das schade.

Schätzt euch, trefft euch, bleibt euch nah

Die logische Konsequenz wäre, selbst den Backofen anzuschmeißen und sie einzuladen. Aber dann müssten an die 15 Menschen über 200 Kilometer anreisen, um in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, dicht an dicht mittelprächtigen Topfkuchen zu mümmeln. Bei allem Enthusiasmus vertraue ich bisher nur bedingt in meine Partyplaner-Fähigkeiten und sehe ein, dass eine solche Einladung eher ein Opfer von meinen Verwandten fordern würde, als dass sie ein Grund zur Freude wäre.

Trotzdem bleibe ich dabei: Wenn es nicht wirklich gute Gründe gibt, sich von der eigenen Familie fernzuhalten (und die gibt es für manche bestimmt), plädiere ich dafür, sich ein paar Mal im Jahr diese Wertschätzung zu gönnen. Macht euch schick für eure Lieben, nehmt euch Zeit, bleibt euch nah. Esst Kuchen, backt Kuchen, stresst euch, ärgert euch, freut euch. Familie ist schön und wichtig und so sollte man sie auch behandeln.

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