"Schweren Herzens verkünden Chad und ich unsere Trennung. (...) Wir sind und werden für immer beste Freunde sein."
"Lena Gercke und ich haben uns vor einigen Wochen gemeinsam entschieden, getrennte Wege zu gehen. Keinem von uns fiel die Entscheidung leicht."
"Wir gehen mit Liebe und Freundschaft füreinander in die Zukunft."
Avril Lavigne, Sami Khedira, Jennifer Garner und Ben Affleck wissen, wie das geht: sich höflich und friedlich voneinander zu trennen. Oder zumindest: so zu tun, als würde man kein anderes Gefühl empfinden als sanfte Melancholie und einen Hauch Traurigkeit. Immer aber dominiert die schlaue Einsicht. Es ist besser so. Wir wünschen uns gegenseitig alles Gute. Bestimmt sehen wir uns an Ostern wieder, wenn wir mit den neuen Partnern zusammen selbst bemalte Biohühnereier aus Freilandhaltung im Garten der Exschwiegereltern suchen und danach alle ganz gemütlich und freundschaftlich beisammensitzen. Macht ihr den Kartoffelsalat oder sollen wir?
Gehört zu einer Liebe nicht Trauer, Schmerz und Wut?
Das ist natürlich eine Lüge. In den Filmstar-, Sportler- und Politikerbeziehungen, deren Scheitern uns Pressesprecher so kühl servieren wie das Granatapfelparfait zum Feiertagsnachtisch ("Lena Gercke und ich" plötzlich sind die Exlover wieder per Sie oder wie?), werden genauso viele Tränen vergossen wie bei 08/15-Liebeskatastrophen. Aber weil das alles so schnittig, klar und sauber klingt, wird die Wohlfühltrennung nicht länger nur in Klatschmagazinen und im Fernsehen inszeniert, sondern immer öfter auch im Alltag.
Ganz normale Menschen verhalten sich so, als würden sie von einem PR-Berater gecoacht. Freunde erzählen, man habe "sich halt nicht auf eine gemeinsame Route einigen können", statt mit sich überschlagender Stimme herumzuschimpfen ("Scheißtyp!"). Expaare fahren kurz nach der Trennung gemeinsam in den Urlaub ("Wir hatten schon gebucht und es wäre schade ums Geld") oder pflegen jeweils die Freundschaft mit den Eltern der Verflossenen. Diese neue Sachlichkeit gilt als Zeichen großer innerer Reife. Was ist passiert? Und: Ist es wirklich gesund, Beziehungen so höflich und vernünftig zu beenden? Gehört zum Ende einer Liebe nicht Trauer und Schmerz und Wut?
In der seriellen Monogamie können wir nicht jedes Mal ausflippen
Scheiden tut zwar weh, ist aber ein notwendiges Übel unseres Lebens. Wir haben deshalb das dringende Bedürfnis, den Prozess zu optimieren. Serielle Monogamie, die heute vorherrschende Liebesform, hat logischerweise zur Folge, dass wir uns regelmäßig von Lebensabschnittsgefährten trennen. Da kann man nicht jedes Mal ausflippen, das Kaffeeservice an die Wand werfen und sich wochenlang in der Wohnung verkriechen, den nahen Herzbruchtod vor Augen. Das ginge viel zu sehr ins Geld (Porzellan und Psychotherapie).
Weil wir unser Liebesleben mit Apps, Algorithmen und Beratungsliteratur akribisch gestalten, finden wir das "Ich werde nie wieder glücklich sein und hasse dich!"-Gezeter hysterisch. Wir sehen uns als aktiv Handelnde und nicht als Emo-Opfer! Ein Grund, warum wir uns strategisch, gewissenhaft und ja! gut gelaunt von unseren Partnern trennen wollen, ist auch, dass unser "Schöner leben"-Inszenierungswille sich selbst vom Schlussmachen nicht aufhalten lässt. Das Ende der Liebe soll so einzigartig und filmreif sein wie der erste Kuss und die magische Zeit des Verliebtseins (den grauen Alltag schneidet man aus dem Egoblockbuster raus). Kein Wunder, dass wir uns für Trennungsinnovationen wie "Conscious Uncoupling" (Gwyneth Paltrow vs. Chris Martin) oder "Ghosting" (Charlize Theron vs. Sean Penn) interessieren.
Haben wir zu viel Verständnis?
Aber vielleicht sind wir alle auch einfach schlauer geworden, was Liebe angeht. Haben so viele Studien und Bücher und Artikel über Beziehungen gelesen, dass wir jede Regung in unserem eigenen Gefühlsleben analysieren und verstehen können. Und wer Verständnis hat, dem fehlt die Grundlage für Wut.
"Es ist schon erstrebenswert, respektvoll auseinanderzugehen", sagt die psychologische Beraterin Silvia Fauck, "aber wenn man den Wunsch, sich 'im Guten' zu trennen, übertreibt, kann das ungesund sein." Nach einer eigenen schlimmen Trennung – ihr Lebensgefährte machte per fünfseitigem Fax mit ihr Schluss – eröffnete sie vor elf Jahren die erste Liebeskummerpraxis, mittlerweile gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz 46 Anlaufstellen. Fauck ist sich sicher, dass das Verständnis für den oder die Ex oft nur vorgeschoben ist. "Wenn man sich selbst und seinen Freunden andauernd erklärt, wieso sich der andere auf diese Art und Weise verhält und warum er im Grunde schon auch irgendwie recht hat, ist man nie bei sich." Die Expertin warnt: "Das holt einen meist ein mit voller Wucht."
Die Optimierung des Schlussmachens als Einnahmequelle
Es ist also nicht immer falsch, mit einer Flasche Rotwein auf der Fensterbank zu sitzen und laut tieftraurige Morrissey-Songs mitzusingen ("Yes I walk around somehow / but you have killed me"). Die meisten Menschen hören aber lieber Chris Martin von Coldplay zu ja, dem mit dem "Conscious Uncoupling" , dessen neue Songs trotz Trennung "Fun", "Hymn for the Weekend" und "Adventure of a Lifetime" heißen. Der Optimismus ist so oberflächlich wie bahnbrechend.
Die Industrie hat die stetige Optimierung des Schlussmachens natürlich längst als lukrative Einnahmequelle entdeckt. Das Scheitern der Beziehung wird zum Event. Internetseiten wie trennungsglück.de helfen, die Break-up-Party richtig zu organisieren. Und als vor einiger Zeit in Dortmund die Scheidungsmesse "Neustart" stattfand, stellten sich neben Mediatoren und Schuldnerberatern auch Friseure, Schönheitschirurgen und ein Tortenversand vor. Letzterer hatte verschiedene Kuchenarten für die Party im Angebot. Es ist vorbei aber es gibt wenigstens viel Zucker.
Wer sich trennt, sollte sich eine Regenerationsphase gönnen
Das ist alles sehr lustig und absurd. Aber Trennungen sind ernst zu nehmen. Das Halbwissen, das wir durch Ratgeberbücher, Talkshows und Magazintexte angesammelt haben, gibt uns das Gefühl, dass wir verlässliche Diagnosen stellen können, woran die letzte Beziehung denn gescheitert ist (Bindungsunfähigkeit, zwanghafte Muster, schwere Kindheit, blablabla). Aber weil man so mit der Diagnostik beschäftigt ist, vergisst man, dass man in dieser Situation nicht Arzt ist, sondern Patient.
Und Patienten sollten sich Regenerationsphasen gönnen die niemand bekommt, der nach dem medialen Vorbild des "freundschaftlichen Auseinandergehens im beidseitigen Einvernehmen" direkt in eine "Alles ist geklärt"-Kumpelei mit dem Ex verfällt. Denn nach einem Break-up ist meist nichts geklärt. Die Diplompsychologin Doris Wolf unterscheidet in ihrem Buch "Wenn der Partner geht" deshalb vier Phasen der Trennungsbewältigung:
1. Verleugnen
2. Aufbrechende Gefühle
3. Neuorientierung
4. Gleichgewicht.
Paare die allzu friedlich miteinander umgehen, haben schon vor der Trennung Trennungsarbeit geleistet
"Die erste Phase muss jeder alleine durchstehen", sagt Wolf. Wer den Beginn des Prozesses überspringt, verbietet sich auch den zweiten Schritt, in dem Eifersucht, Selbstzweifel und Wut hochkochen. Für Wolf gibt es daher nur einen Fall, in dem zwei ehemalige Liebende im so ersehnten "Guten" scheiden können: "Wenn es Paaren gelingt, gleich friedlich miteinander umzugehen, haben sie quasi schon vor der Trennung Trennungsarbeit geleistet oder die Beziehung war nicht so nah und intensiv." Das klingt doch schrecklich.
Wer geliebt hat, wird leiden
Die Formel lautet also: Wer geliebt hat, wird leiden. In der Literaturgeschichte ist das seit Jahrhunderten ein alter Hut den man immerhin ernst nahm. So schreibt der Titelheld im französischen Drama "Cyrano de Bergerac" aus dem 19. Jahrhundert an seine Cousine Roxane, in die er heimlich verliebt ist: "Es ist indessen nichts Wunderbares dabei, denn auch der Mensch hat zwei Tode auf Erden zu erleiden, den aus Liebe und den natürlichen. Also kann ich annehmen, dass ich anfing zu sterben, als ich begann, Sie zu lieben, weil der Tod eine Trennung von Geist und Körper ist und weil ich in dem Augenblick, als ich Sie sah, meinen Verstand verlor."
Irgendwann endet jede Liebe ob nun schicksalhaft durch den Tod oder neuzeitlichpeinlich durch Tinder. Das ist traurig. Und deshalb ist es okay, wenn Leid und Liebeskummer nicht nur unsere besten Eigenschaften hervorkehren. Auch wenn das heute verpönt ist. Einer aktuellen Erhebung zufolge antworten 69 Prozent der Interviewten auf die Frage, ob sie sich schon einmal an ihrem Partner gerächt hätten: "Nein, das ist nicht mein Stil. Ich schlucke meinen Zorn eher runter." Der erste Satz dieser Antwort ist sinnvoll und ratsam. Der zweite dagegen zeigt deutlich, dass wir im Trennungsfall heute ungesunde Maßstäbe bei uns anlegen. Und das sollten wir nicht tun.
Im Liebeskummer gibt es nichts zu optimieren
Nur weil wir in unserem Leben vermutlich häufiger mit unseren Partnern Schluss machen oder von ihnen verlassen werden als unsere Eltern und Großeltern, heißt das nicht, dass wir darin besser sein müssen. Wir müssen uns nicht im Griff haben. Und wir sollten auch nicht als unsere persönlichen Pressesprecher agieren und eine Harmonie behaupten, die es nicht geben kann, wenn wir uns und den anderen im Nachhinein ernst nehmen. Im Gegenteil: Wir sollten heulen und schreien und Geschirr werfen, wenn uns danach ist. Wir sollten unseren Freunden sagen, dass wir den anderen nie wiedersehen wollen, nur um am nächsten Tag niedergeschlagen vor seiner Haustür zu stehen. Wir sollten uns Gemeinheiten an den Kopf werfen und uns gegenseitig unsere Wunden zeigen. Das ist nicht schick und nicht sexy und ganz und gar nicht professionell. Aber wenn eins feststeht, dann das: Es darf keine Routine im Trennen geben, niemals. Im Liebeskummer gibt es nichts zu optimieren. Im Liebeskummer sollten wir dumm und irrational und peinlich bleiben. Das sind wir uns schuldig.