Wir haben ganz ordentlich Gegenwind an diesem März-Tag in Berlin. Ich hatte mir das irgendwie leichter vorgestellt, für Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu demonstrieren – zumindest was das Halten eines selbstgebastelten Demo-Plakates im März-Wetter angeht. Es ist meine erste Demo am Weltfrauentag und ich tanze mit völlig fremden Menschen zu Technobeats durch einen Demo-Schilderwald auf Berlins Straßen. Zahlreiche Männer und Frauen schieben sich vom Alexanderplatz Richtung Kreuzberg, beobachtet von Schaulustigen und Kamerateams. Unter dem Motto "Feiern, Streiken, Weiterkämpfen" hat das Bündnis Frauen*kampftag Berlin zu einer großen Kundgebung eingeladen. "Nie wieder leise, Patriachat ist scheiße", ruft eine Gruppe Frauen mit lila Mützen hinter mir. Vor mir geht eine Frau im Tampon-Kostüm.
Weltfrauentag am 8. März
Schaut man sich hier um, wird schnell klar: Das Wetter ist wohl nur die kleinste Hürde, wenn es um den Kampf gegen die Ungleichbehandlung von Männer und Frauen geht. "Girl just wanna have fundamental human rights", "Meine Pussy, my rules" oder "Viva la Vulva", steht in roten und pinken Buchstaben auf Pappschildern und Bannern. "Es ist dumm, zu behaupten, es gäbe schon überall Gleichberechtigung", sagt der 17-jährige Adam. Seine Freundin Miray pflichtet ihm bei: "Es ist toll zu sehen, dass hier so viele Menschen auf das Thema aufmerksam machen", sagt sie. In Deutschland habe sich schon viel getan, aber es gebe auf der ganzen Welt noch viel zu verbessern. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie der OECD, in der 180 Länder untersucht wurden. Den Ergebnissen zufolge können in knapp der Hälfte aller Länder Frauen bestimmte Berufe noch nicht ausüben – in 24 Ländern brauchen Frauen sogar noch die Erlaubnis ihres Ehemannes, um zu arbeiten.
Seit 1921 wird der Weltfrauentag am 8. März gefeiert; die Vereinten Nationen machten ihn 1975 dann offiziell zum Internationalen Weltfrauentag. Schon seit knapp 100 Jahren fordern deshalb Frauen und Männer am 8. März öffentlich Gleichberechtigung ein. 1911 gingen in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz Frauen auf die Straße und protestierten für ihre Rechte. Damals stand vor allem die Teilhabe an politischer Macht und das Wahlrecht für Frauen im Zentrum der Demonstrationen. Einen Welt-Männertag gibt es übrigens auch – der ist am 3. November. 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland 1918 hatte sich die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung im vergangenen Jahr entschieden, den 8. März in der Hauptstadt zum Feiertag zu machen.
Abtreibung und Menstruation
Und das können die Berliner: Zehntausende nutzen ihren neuen freien Tag, um für Gleichberechtigung zu demonstrieren. Ihre Anliegen sind so unterschiedlich wie die Demonstranten selbst. Der 24-jährige Lucas ist zum Beispiel mit zahlreichen Freundinnen und Freunden auf der Demo. Warum er heute dabei sein will? "In unserer Gesellschaft herrscht immer noch strukturelle Ungleichheit. Frauen bekommen zum Beispiel bei gleicher Arbeit immer noch weniger Gehalt als Männer." Er wolle aber in einer Welt leben, in der alle gleich sind. Gesellschaftliche Probleme einfach stillschweigend hinnehmen, das wollen auch Rosalie und Keno nicht. Die beiden Berliner sind auf der Demo, um wie viele andere für die Abschaffung des Artikels 219a zu demonstrieren. Das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen verbietet es zur Zeit, dass Ärzte und Ärztinnen über Abtreibungen informieren. "Es geht um die Selbstbestimmung über meinen Körper, sagt Rosalie.
Über ihren Körper bestimmen und vor allem darüber sprechen will auch die 31-jährige Dunya. Die Performance-Künstlerin trägt ein Tampon-Kostüm, das an diesem Tag viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. "Ich trete in diesem Kostüm auf und rolle damit auf die Bühne, um das Thema Menstruation zu enttabuisieren", sagt sie. Die Periode sei in der Öffentlichkeit immer noch ein großes Tabuthema und es sei wichtig, darüber nicht zu schweigen. Mit dieser Einstellung ist sie nicht allein: "Power to the Period" oder "Stop Taxing my Vagina" steht auf Plakaten einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie setzten sich für die Ermäßigung oder eine Abschaffung der Steuer auf Periodenprodukte ein.
Aufschrei gegen Ungleichheit
Nach einigen Demo-Stunden und zahlreichen Unterhaltungen über die Unwägbarkeiten des Demo-Plakathaltens, erreiche ich mit kalten Fingern, aber neuem Mut den Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg, den Endpunkt der Demonstration, wo am Abend noch einige Kundgebungen stattfinden. Außer vom Wetter (das im Laufe des Tages auch noch sein frühlingshaftes Gesicht gezeigt hat), gab es an diesem Tag in Berlin erstaunlich wenig Gegenwind und viel Aufmerksamkeit für das Thema Gleichberechtigung. Zwischen tausenden von Menschen und erfreulich vielen Männern zu lachen, zu tanzen und über Gleichberechtigung zu diskutieren, wirkte irgendwie erleichternd. Vielleicht lag es daran, dass man sich nicht so allein gefühlt hat, wie manchmal im eigenen Alltag. Oder auch, dass sich am Ende jeder seine ganz persönliche Wut von der Seele schreien konnte: Beim "Global Scream" tönte eine Minute lang ein Aufschrei gegen Ungleichheit durch Berlin.