Brosius-Gersdorf war wegen ihrer Haltung zum Schutz ungeborenen Lebens heftig kritisiert worden - auch von hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche. Auf die Frage, ob Vertreter der Kirche die Diskussionen um die Besetzung der Richterposten sogar noch angeheizt haben, sagte Bätzing: "In dieser gesamten Debatte ist viel schiefgelaufen." Viele Menschen, die mit der Richterinnenwahl befasst sind, seien dadurch beschädigt worden. "Wir können diesen Kulturkampf nicht gebrauchen. Es gibt zu viele Profiteure davon", warnte der Bischof.
Bätzing zeichnete ein differenzierteres Bild von Brosius-Gersdorfs Position zum Abtreibungsrecht. Es gehe zum einen um das Selbstbestimmungsrecht für Frauen, die ungewollt schwanger sind - zum anderen aber um den Schutz ungeborenen Lebens. Die derzeitige Praxis nach Paragraf 218a, der Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen garantiert, bedeutet aus seiner Sicht allerdings eine "kluge Balance", sagte Bätzing. Daran zu rütteln "und damit womöglich eine gesellschaftliche Spaltung riskieren", halte er für einen Fehler.
Die Juraprofessorin Brosius-Gersdorf wurde unter anderem von Unionsfraktion und Kirchenvertretern für Äußerungen zum Abtreibungsrecht angegriffen - ihre Haltung in der Frage wurde als zu liberal kritisiert. Kritik unter anderem von rechtsaußen gibt es zudem an ihrer Haltung zur Zulässigkeit eines AfD-Verbots sowie an früheren Äußerungen zur Rechtmäßigkeit einer Corona-Impfpflicht.
Mehrere SPD-Politiker warfen der Union "Doppelmoral" beim Umgang mit Positionierungen der katholischen Kirche vor. Der Abgeordnete Helge Lindh erinnerte daran, dass sich beispielsweise Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) im Frühjahr gegen Kritik der Kirchen an der Migrationspolitik der Union verwahrt habe. Jetzt aber würden sich Manche in der Union "im Fall Brosius-Gersdorf gerne auf die kirchlichen Einlassungen berufen", sagte Lindh dem "Spiegel".
Auch der SPD-Abgeordnete Sebastian Roloff warf der Union vor, dass sie nur dort "wo es Manchen in die Agenda passt", auf kirchliche Positionen verweise, beim Thema Migration jedoch nicht.
Grünen-Parteichef Felix Banaszak rief Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf, dass er sich "neben seinem Engagement im Ausland auch ab und an mit dem beschäftigen sollte, was hier in Deutschland passiert". Er kritisierte, dass die Union sich "von einem, rechten Mob dazu treiben lässt, anerkannte Leute so zu diskreditieren". Das Kalkül dabei sei offensichtlich, dass Brosius-Gersdorf "sturmreif geschossen wird", bis sie von sich aus "den Rückzug antritt".
Letzteres sollte allerdings besser Unions-Fraktionschef Jens Spahn tun, forderte Banaszak. Dieser müsse sich fragen, "ob er seine Fraktion noch im Griff hat", oder ob diese inzwischen "von Julian Reichelt gesteuert wird", fügte er unter Hinweis auf den Publizisten und Betreiber des rechtspopulistischen Onlinemediums "Nius" hinzu.
Brosius-Gersdorf hatte am Dienstag die Kritik an ihren Positionierungen erneut zurückgewiesen. "Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt", sagte die Juristin im ZDF.
Am Wochenende hatte der katholische Bamberger Erzbischof Herwig Gössl die Nominierung von Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht wegen deren Haltung zum Abtreibungsrecht als "innenpolitischen Skandal" bezeichnet. Gössl sprach in diesem Zusammenhang von einem "Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung".
Brosius-Gersdorf hatte zu den Äußerungen Gössls gesagt: "Ich finde das infam." Auch Vertreter der katholischen Kirche seien "an die Verfassungswerte unsere Grundgesetzes gebunden und damit auch an meine Menschenwürde und mein Persönlichkeitsrecht".