Triage bezeichnet das Verfahren, nach dem bei knappen Ressourcen die Reihenfolge der Behandlung von Patienten festgelegt wird. Während der Coronapandemie wurde ein solches Verfahren erstmals gesetzlich geregelt. Das war eine Reaktion auf einen früheren Beschluss des Verfassungsgerichts.
Es hatte Ende 2021 einer Beschwerde von behinderten Menschen stattgegeben und den Gesetzgeber dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass behinderte Menschen im Fall einer Triage nicht benachteiligt werden. Ende 2022 beschloss dann der Bundestag, das Infektionsschutzgesetz um die Neuregelungen zu ergänzen.
Doch er war nicht zuständig, wie aus dem nun veröffentlichten Gerichtsbeschluss hervorgeht. Denn hier stehe nicht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zu, sondern den Ländern. Es handelt sich nämlich nicht um Maßnahmen, welche eine Pandemie eindämmen sollen, wie Karlsruhe ausführte. Stattdessen gehe es um die Folgen einer Pandemie.
Die Zuteilung knapper Ressourcen in einem solchen Fall müsse nicht unbedingt gesamtstaatlich geregelt werden. Ärztliche Entscheidungen könnten "grundsätzlich lokal nach unterschiedlichen Vorgaben getroffen werden".
Um inhaltliche Fragen ging es dem Gericht in dem Fall nicht. Der Auftrag von 2021 besteht weiterhin, behinderte Menschen müssen also bei Triage weiter gesetzlich vor Diskriminierung geschützt werden.
"Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber seiner Bevölkerung, dies gilt ohne jegliche Einschränkung auch für Menschen mit einer Behinderung", betonte Ministerin Warken in einer ersten Reaktion. Für den Koalitionspartner SPD versicherte der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Christos Pantazis: "Unser Ziel bleibt, den Schutz vulnerabler Gruppen zu gewährleisten und zugleich Ärztinnen und Ärzte in Extremsituationen rechtssicher zu entlasten."
Die Regelungen von 2022 legten fest, dass es allein auf die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit ankommt - und beispielsweise nicht auf Alter, Geschlecht, etwaige Behinderungen oder Gebrechlichkeit. Zudem wurde geregelt, welche Ärzte nach welchem Verfahren entscheiden.
Ausdrücklich verboten wurde die sogenannte Ex-Post-Triage. Die Versorgung eines Patienten darf also nicht abgebrochen werden, wenn ein neuer Patient mit besserer Prognose eingeliefert wird.
Gegen die Regelung wandten sich insgesamt 18 Ärztinnen und Ärzte aus den Bereichen Notfallmedizin und Intensivmedizin mit Unterstützung des Ärzteverbands Marburger Bund. Sie sahen ihre Berufsfreiheit verletzt.
Das beurteilte das Gericht nun genauso. Die Therapiefreiheit werde durch die Regelungen eingeschränkt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, entschied es.
Der Marburger Bund begrüßte den Karlsruher Beschluss und nannte ihn eine "wegweisende Entscheidung." Zur Berufsfreiheit gehöre gerade auch "die Freiheit und Verantwortung, selbst in medizinischen Dilemmasituationen ärztliche Entscheidungen nach fachlicher Kenntnis und eigenem Gewissen in kollegialer Übereinstimmung zu treffen", erklärte die Vorsitzende Susanne Johna.
Ähnlich äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Der Beschluss stärke "die ärztliche Berufsausübungsfreiheit und stellt sicher, dass medizinische Entscheidungen auf Basis der medizinisch-fachlichen Beurteilung und der Situation der Patientinnen und Patienten getroffen werden können", teilte er mit.
Verschiedene Stimmen appellierten bereits an die Bundesländer. Diese seien nun "gefordert, eine gute Regelung zu finden, die keine unterschiedlichen Schutzniveaus etabliert und den Ansprüchen der Betroffenen Rechnung trägt", erklärte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sören Pellmann.
Die Bundesländer müssten "eine abgestimmte neue und einheitliche Regelung treffen", forderte auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, betonte: "Die Verfassung verbietet weiterhin, dass Alter, Pflegebedürftigkeit und Behinderung allein für die Aufnahme und den Abbruch einer Behandlung maßgeblich sind."