Drogeriekette droht Schließung an Ein Grablicht aus dem Schlecker-Markt

  • von Malte Arnsperger
Als die Drogeriekette verkündete, dass sie die Hälfte aller Filialen schließen will, ahnten die Neuschönauer noch nicht, dass wohl auch ihr Laden dicht macht. Ein Drama im Bayerischen Wald.

Grablichter gehen immer schon gut beim Schlecker in Neuschönau. Es gibt die Kerzen in verschiedenen Größen, sie kosten zwischen 59 und 99 Cent. Der Drogeriemarkt hat sich auf eine stete Nachfrage eingestellt. Denn auf der anderen Straßenseite steht die Kirche, daneben liegt der Friedhof. Bald können die Bürger in dem niederbayerischen Dorf wohl auch für ihre Schlecker- Filiale ein Grablicht aufstellen. Denn sie dürfte einer der Standorte des insolventen Drogerieriesen sein, die von der angedrohten Schließung von 3000 Filialen betroffen sind. Der Ort in der Nähe der tschechischen Grenze fürchtet sich davor - nicht nur wegen der Gräber auf dem Friedhof.

Auf der Gemeinde-Homepage preist Neuschönau seine Lage am Rande des Nationalparks bayerischer Wald und wirbt für sich als "Paradies" für Wintersportler. Tatsächlich liegt hier zu einer Jahreszeit, wo fast überall in Deutschland die Krokusse schon an die Oberfläche sprießen, auf den Felder noch zentimeterdicker Schnee, Langläufer tragen ihre Latten über den Dorfplatz zur nächsten Loipe, erfreuen sich an dem strahlend blauen Himmel.

Genauso strahlend blau ist auch das Logo der Schlecker-Niederlassung, an dem die Wintersportler vorbeigehen. Aber nach Strahlen ist drinnen niemandem zumute. Zu tief sitzt noch der Schock über den gerade verkündeten Kahlschlag und die verbundene Massenentlassung. "Es wäre eine absolute Katastrophe, wenn dieser Markt zu macht", sagt Martina Dippl, Filialleiterin und Betriebsrätin. "Aber nicht nur für uns Beschäftigten. Für den ganzen Ort. Denn wir sind ein sehr wichtiger Teil der Nahversorgung."

Der nächste Supermarkt ist zehn Kilometer entfernt

Im ersten Moment mag man an dieser These zweifeln. Denn im Nachbargebäude ist ein Metzger untergebracht, zwei Häuser weiter ist eine Bäckerei mit angeschlossenem Dorfladen, schräg gegenüber gibt es einen kleinen Zeitungskiosk. Das Angebot in dem 2300-Einwohner-Ort ist zwar überschaubar, aber wirkt doch der Größe angemessen – auch ohne Schlecker. Stimmt nicht, meint Marina Dippel. "Wirklich schlimm wäre die Schließung für die älteren Leute und die Eltern. Denn nur bei uns bekommen sie Vitamintabletten, Nasenspray, Windeln oder eine größere Auswahl an Babynahrung. Das hat der kleine Lebensmittelmarkt nicht. Und es gibt keine Apotheke im Ort." Auch die Fahrt in den Nachbarort ist sinnlos, meint Dippl. "Der nächste Supermarkt ist mindestens zehn Kilometer entfernt. Insbesondere für die älteren Leute, die nicht mobil sind, ist das unerreichbar."

Diese Herrschaften treffen sich regelmäßig nur einige hundert Meter vom Schlecker entfernt, hinter dem Pfarrhaus in einem kleines Holzgebäude. An diesem Nachmittag gibt es zum Kaffee selbstgebackenen "Limo-Kuchen mit Kirschen". Rund zwanzig ältere Frauen und ein weißhaariger Mann lassen sofort die Löffel fallen, als sie das Wort "Schlecker" hören. "Der darf nicht zumachen. Wo sollen wir denn dann einkaufen, wir haben doch fast alle kein Auto." Wild reden sie durcheinander. Eine grauhaarige Frau in purpurrotem Mantel ist besonders entrüstet. Der Bus in den nächsten größeren Ort würde nur alle paar Stunden kommen, "das macht keinen Sinn". Und selbst wenn, die schweren Einkaufstaschen könnten sie und viele ihrer Altersgenossen niemals so weit und so lange tragen. Schließlich würde sie "ois" beim Schlecker einkaufen, sagt sie im tiefsten Niederbayerisch, vom Hustensaft über die Strümpfe bis zum Shampoo, auch Beruhigungstabletten, "damit ich schlufe ka".

Schlecker wird Thema im Gemeinderat

Wenn Bürgermeister Heinz Wolf aus dem Fenster seiner Amtsstube schaut, sieht er die Kirche, den Wald, den Schnee - und die Schlecker-Filiale. Aber nicht nur deswegen oder weil er auf dem Weg von und zur Arbeit selber oft Duschgel, Zahnpasta oder Vitamintabletten dort kauft, macht er sich Sorgen wegen der drohenden Schließung des Ladens. "Wenn der Schlecker zu macht, wäre das eine enorme Lücke. Nicht nur für unsere Leute, sondern auch für die aus den Nachbargemeinden, die alle zu uns zum Einkaufen kommen und die Touristen. Der kleine Lebensmittelmarkt hat eben nicht alles und ist teilweise auch teurer." Als Bürgermeister sei er aber an einer vollständigen Nahversorgung interessiert. Das Thema Schlecker will Wolf deshalb bei der nächsten Gemeinderatssitzung ansprechen. Und auch den Kontakt zu dem Drogeriekonzern will er suchen, um für den Erhalt des Ladens zu werben. "Aber ich verspreche mir davon nicht so viel. Denn die entscheiden natürlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten."

Das wissen auch Martina Dippl und ihre zwei Kolleginnen, die den Schichtwechsel vorbereiten. Sie stehen an der Kasse, umringt von Regalen mit Schoko-Hasen und bunten Ostereierfarben. Doch während es um sie herum nach Frühling und nach Aufbruch aussieht, versuchen sie sich einen Reim auf die Hiobsbotschaften aus der Schlecker-Zentrale zu machen. "Klar, der Umsatz ging in den letzten Monaten wirklich runter", sagt Dippl. "Aber das liegt vor allem daran, dass sie uns so wenig Ware geliefert haben." Überhaupt herrscht hier die einhellige Meinung: Firmenpatriarch Anton Schlecker trägt die Hauptschuld an der Misere. Er sei es gewesen, der mit fragwürdigen Methoden den Namen der Firma in Verruf gebracht hätte. "Die Leute wollten das positive über Schlecker und die guten Arbeitsbedingungen irgendwann nicht mehr hören und haben nicht mehr eingekauft. Und nun hilft uns keiner."

"Ois Gude euch"

Aber irgendwas wollen die Schlecker-Frauen in Neuschönau tun für den Erhalt ihrer Filiale. Und sie bekommen eine breite moralische Unterstützung im Ort. Innerhalb von einem Tagen haben in diesem winzigen Ort über 100 Leute den Aufruf "Wir erklären und solidarisch mit den Beschäftigten bei Schlecker" unterschrieben. Jeder Kunde unterzeichnet, selbst Menschen, die nichts kaufen, kommen rein, kritzeln ihren Namen auf das Papier und werfen den Verkäuferinnen ein aufmunterndes "ois Gude euch" zu. Warum diese Solidarität? Einmal aus Eigeninteresse: So wie Alfons Schinabeck, Vermieter des Ladenlokals und Chef der benachbarten Metzgerei. Er weiß: Einen neuen Mieter zu finden wird auf dem Land sehr schwierig. Und auch in seiner Metzgerei könnten einige Kunden wegbleiben. "Es gibt viele, die beim Schlecker einkaufen und bei uns noch eine Wurstsemmel mitnehmen. Manche würden dann vielleicht gar nicht kommen."

Aber es ist noch etwas anderes, dass den Ort hinter Schlecker versammelt. Es ist die dörfliche Gemeinschaft. Schinabeck spricht aus, was viele denken. "Hier treffen sich die Leute und unterhalten sich. Der Schlecker gehört sein vielen Jahren zum Ortsbild. Und es ist doch besser, als wenn hier ein Spielhalle drin wäre, wo sich die Jugend rumtreiben würde." Vor einigen Monaten hat Schlecker sein Logo aufgehübscht und sich das Motto: "For you. Vor Ort" gegeben. Für Dörfer wie Neuschönau ist das offenbar nicht nur krummes Marketingdeutsch.

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