Über Nacht ist das Hochwasser weiter angestiegen und bedeckt jetzt den alten Friedhof von Jamestown. Michael Lavin, der auf dem Gelände der ersten dauerhaften englischen Siedlung in Nordamerika in Wanderstiefeln durch das Nass watet, zeigt sich alarmiert. "All die archäologischen Ressourcen, die wir noch nicht untersuchen konnten, könnten zerstört werden", sagt der 47-Jährige, der für den Erhalt der historischen Stätte verantwortlich ist. "Wir müssen etwas unternehmen, und wir müssen es jetzt tun."
Es ist der Klimawandel und damit einhergehend der steigende Meeresspiegel, der das auf einer Fluss-Insel an der Atlantikküste im Bundesstaat Virginia gelegene Jamestown bedroht. Der derzeitige Hochwasser-Pegel, rund ein Meter, droht hier zum Ende des Jahrhunderts zum Normalfall werden.
Jamestown: "Wir kannten das hier als trockene Gegend"
Seit 1927 ist der Meeresspiegel in der Region bereits um rund 45 Zentimeter angestiegen. Anfang Mai wurde das 1607 als britische Siedlung gegründete Jamestown von der Organisation National Trust for Historic Preservation auf die Liste der elf am meisten bedrohten historischen Stätten der USA gesetzt.
"Wir kannten das hier immer als eine trockene Gegend", sagt der Chefarchäologe David Givens, der wie Lavin bei der Stiftung Jamestown Rediscovery arbeitet. "Das ist ein perfektes Beispiel für den Anstieg des Meeresspiegels, für den Klimawandel und seine Auswirkungen."
"Sinking Islands": Diese Inselstaaten gehen jetzt schon unter
Eine Frau geht über einen Wall von Sandsäcken in Guraidhoo. Die Sandsäcke wurden nicht als Vorbeugung gegen eine Überflutung aufgeschichtet, sondern als Schutz gegen die fortschreitende Erosion. Die hierzulande vor allem als Urlaubsparadies im Indischen Ozean bekannte Republik aus 1200 Inseln gehört zu den am tiefsten liegenden Staaten der Welt – in den tiefsten Lagen sind es nur anderthalb Meter. Der steigende Meeresspiegel sorgt längst für eine fortschreitende Erosion, die Inseln werden regelrecht Stück für Stück abgetragen. Die Heimat einer guten halben Million Menschen geht auf diese Weise langsam unter.
Archäologische Funde teils schon stark zerstört
Mit Sandsäcken und Planen versuchen die Archäologen, die Ausgrabungsstätten in Jamestown zu schützen. Denn nach wie vor wird zur reichen Geschichte des Ortes geforscht. Schon 12.000 Jahre vor Ankunft der englischen Siedler lebten Ureinwohner in der Gegend. 1619 war Jamestown dann der Ort, an dem die ersten in die englischen Kolonien in Nordamerika verschleppten Sklaven aus Afrika ankamen.
2013 wurde durch die Untersuchung von Knochen einer jungen Frau festgestellt, dass sie während einer Hungersnot in der Siedlung im Winter 1609 und 1610 Opfer von Kannibalismus wurde. Doch solche Erkenntnisse könnten in Zukunft unmöglich werden. Die Archäologin Caitlin Delmas sagt, dass zuletzt ausgegrabene Knochen wie "Schwämme" gewesen seien und deswegen nicht mehr untersucht werden könnten.
"Mit der Zeit werden diese archäologischen Stätten nicht mehr zugänglich sein, sie werden von Salzwasser, von Überschwemmungen ausgewaschen sein", sagt Delmas' Chef Givens. "Das ist glaube ich das, was mir am meisten Angst macht." Die Arbeit der Archäologen in Jamestown sei "fast wie in einem Krieg, wie in einem Graben mit Sandsäcken". "Es ist ein ständiger Kampf für uns."
Fünf Jahre Zeit, Jamestown vor Untergang zu retten
Derzeit wird ein Anfang des 20. Jahrhunderts errichteter Damm verstärkt, der Jamestown vor dem Wasser schützen soll. Im Mündungsgebiet des Flusses James transportieren mehrere Lastenkähne Granitblöcke, die für das zwei Millionen Dollar (knapp 1,9 Millionen Euro) teure Vorhaben gedacht sind.
Doch das ist nur der Anfang. Es wurden bereits Studien für einen noch besseren Schutz gestartet, die Kosten dürften bei vielen Millionen Dollar liegen. Und die Zeit drängt. "Wir haben für Jamestown ein Zeitfenster von fünf Jahren, um die Auswirkungen des Klimawandels ernsthaft abzumildern", sagt Katherine Malone-France vom National Trust for Historic Preservation. "Es ist dringend."