Mordfall Pascal Schwere Anschuldigungen gegen die Ermittler

Hat die Polizei im Fall Pascal mit Psychodruck und Schlägen ein falsches Geständnis erpresst? Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen Beamte des Landeskriminalamts. Lars Nozar, Rechtsanwalt, über die Vorwürfe seiner Mandantin Melanie gegen die Ermittler.

Hat die Polizei im Fall Pascal mit Psychodruck und Schlägen ein falsches Geständnis erpresst? Nach einem Bericht des Magazins stern von voriger Woche ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen Beamte des Landeskriminalamts. Sie hatten im Oktober 2001 Melanie, eine Halbschwester des spurlos verschwundenen Jungen, unter dem Verdacht des Totschlags festgenommen, mussten sie aber nach sieben Tagen wieder freilassen. Lars Nozar, Rechtsanwalt von Melanie, über die Vorwürfe seiner Mandantin gegen die Ermittler.

Herr Nozar, warum kommt die Kritik Melanies erst jetzt, über ein Jahr nach ihrer Verhaftung?

Weil wir bisher davon ausgingen, dass Melanie immer noch als Beschuldigte im Mordfall Pascal gilt und sie deshalb befürchtete, dass sie sofort wieder ins Gefängnis muss, wenn der Eindruck erweckt, sie wollte mit Vorwürfen gegen das LKA die Ermittlungen erschweren. Wer hätte ihr denn schon geglaubt? Erst jetzt, seit die Wirtin Christa W. und ihre Clique verhaftet wurden und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, dass gegen die Mitglieder von Pascals Familie kein Verdacht bestünde, hat sie eine Chance, sich zu rehabilitieren und zu erzählen, wie es zu ihrem vermeintlichen Geständnis kam.

Nämlich wie?

Melanie berichtete mir folgendes: Sie und ihre jüngere Schwester Manuela sei fünf Tage nach dem Verschwinden ihres Bruders abgeholt worden. Vier LKA-Beamte befragten die beiden Mädchen, damals 18 und 17, ohne Eltern und getrennt voneinander. Im Lauf dieser Vernehmungen soll Manuela ihre Schwester beschuldigt haben, den Kleinen mit einer Holzlatte erschlagen zu haben.

Wie kam die Schwester zu solch einer Aussage?

Melanie hat mir berichtet, dass die Vernehmungsbeamten zwischen den Zimmern hin und her wechselten und massiven Druck auf die Mädchen ausübten. Die Beamten hätten immer wieder die selben Fragen gestellt. Am Anfang sei der Ton höflich, aber dann zunehmend unangenehmer geworden. Abends wurde sie plötzlich verhaftet. Die Beamten hätten behauptet: "Deine Schwester hat alles erzählt, Du kannst es ruhig zugeben".

Gehört nicht etwas mehr als Ermittlerdruck dazu, um solche Geschichten zu erfinden?

Manuela hat ihrer Familie bis heute nicht erklärt, wie sie auf diese Geschichte kam. Sie hat aber alles widerrufen und sich bei Melanie entschuldigt, die sie sofort in die Arme nahm. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es sich um junge Mädchen handelt, die beiden noch sehr kindlich sind und keinerlei Erfahrung mit der Polizei hatten.

Aber warum hat Melanie die angebliche Tat dann auch noch zugegeben?

Mein persönlicher Eindruck war, dass sie mit den Nerven am Ende war. Sie erzählte, dass sie von Freitag um elf bis Samstagabend vernommen wurde. In dieser Zeit, also etwa 30 Stunden, habe man ihr weder etwas zu trinken noch zu essen gegeben. Die Nacht verbrachte sie auf einer Liege in der Polizeiwache, einem uralten Gemäuer, wo sie in einer dunklen Zelle mit Sehschlitz ohne Waschbecken oder WC schlafen musste und die Schreie ihrer Zellennachbarn hörte. Allein das reicht doch schon, um ein junges Mädchen zu beeindrucken.

Gestanden hat sie aber schon am Freitagabend?

Ja, da sei sie aber schon so fertig gewesen, dass sie bereit war, alles zu unterschreiben, erst recht, als ein LKA-Beamter mit ihr zur Schule fuhr, wo sie angeblich Pascals Leiche versteckt hatte. Als sie dort nichts fanden, habe sie einen Schlag ins Genick erhalten. Mit der Faust, sagt sie, und so heftig, dass sie auf dem Schulhof zusammengebrochen sei. "Mach keine Show", habe der Beamte gesagt.

Ist das glaubwürdig?

Ja, ich kenne Melanies Vorwürfe seit ihrer Verhaftung im Detail und sie hat sie immer wieder geschildert, identisch bis ins Detail und ohne Widersprüche, das spricht für ihre Glaubwürdigkeit. Melanies Mutter berichtete mir, dass sie den Beamten auf seine Methoden ansprach. Darauf habe er gesagt: "Wir sind ja auch nur Menschen."

Wie kam sie wieder frei?

Am Mittwoch konnte ich Melanie in der U-Haft besuchen. Tags darauf fand eine weitere Vernehmung beim Landeskriminalamt statt, bei der ich als Verteidiger dabei war. Ich konnte die Ermittlungsbeamten überzeugen, dass der Tatvorwurf abstrus ist. Allein schon die Vorstellung, dass ein Mädchen, das weder Fahrkenntnisse noch einen Führerschein hat und kein Auto besitzt, eine Kinderleiche wegschleppt, und dann noch am Tag eines Jahrmarktes, an dem Freunde und Bekannte unterwegs waren, war absurd. Um Mitternacht hatte ich die Ermittler schließlich so weit, dass sie Melanie nach Hause schickten.

Welche Konsequenzen hatte der Mordvorwurf für das Mädchen?

Sie wurde und wird auf der Straße und im Supermarkt als Mörderin beschimpft.

Ist das Verfahren gegen sie inzwischen eingestellt?

Meiner Kenntnis nach nein.

Interview: Ingrid Eißele

Anmerkung der Redaktion:
Melanie gilt tatsächlich weiter als Beschuldigte im Fall Pascal, wie Staatsanwalt Raimund Weyand bestätigt. Allerdings nicht mehr wegen Verdacht des Totschlags, "das können wir definitiv ausschließen", sondern je nach Ausgang der Ermittlungen wegen "Abgabe eines falschen Geständnisses".

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