Der kleine Mann mit den großen Plänen stand irgendwann vor ihnen. Er kam aus dem warmen Ägypten in das kalte Dorf unterhalb des Gotthardpasses, das seit einiger Zeit nicht nur des Wetters wegen fröstelte, sondern auch beim Gedanken an seine Zukunft. Die Gemeindehalle war voll, beinahe der ganze Ort war da. Sie warteten, misstrauisch, was dieser Mann, steinreich, wie man hörte, ihnen zu sagen hatte.
"Ich möchte etwas schaffen mit euch", rief der Fremde an jenem 18. Dezember 2005 in die Mehrzweckhalle von Andermatt, einem kleinen Ort im Urserntal, weit oben, wo sich der Schweizer Kanton Uri vom Tessin scheidet. Braun gebrannt stand er hinter dem Mikrofon, kaum 1,70 Meter, das grau melierte Haar gelockt und auf den Lippen ein stetes Lächeln. Mit sanfter Stimme und akzentfreiem Deutsch sprach er weiter: "Ihr Urner dürft euch nicht immer unterschätzen." Die Bürger machten sich länger auf den harten Stühlen.
Das größte Bauprojekt dieser Art
Nachdem er geschlossen hatte, mit dem Bekenntnis, dass auch er Christ sei wie sie, waren die Bürger elektrisiert. Waren die Pläne des Mannes da vorne, Samih Sawiris, 51 Jahre alt, Spross der reichsten Familie Ägyptens, Chef des größten Tourismuskonzerns des Landes am Nil, Orascom Hotels & Development, waren seine Visionen von einem neuen Andermatt auch zu ihren geworden. Die Pläne für ein Ferienresort, das auf ehemaligem Militärgelände errichtet werden soll. 145 Hektar Gesamtfläche, mehr als das ganze Dorf. Das größte Bauprojekt dieser Art in den Alpen, in das fast eine Milliarde Euro fließen und nach dessen Fertigstellung mehr als 1000 Arbeitsplätze entstehen sollen.
In einem Ort, der ein spezielles Problem hat: Rund um ihn wird immer weniger geschossen. Weil seit der 1995 begonnenen "Armeereform XXI" das Schweizer Militär sich drastisch verkleinert. Andermatt, seit den 20er Jahren Teil der legendären Gotthardfestung und einer der großen Militärstützpunkte der Schweiz, verlor seinen wichtigsten Wirtschaftsfaktor. Übrig geblieben sind nur die Gebirgsjäger, kaum hundert Mann. Die Kaserne gegenüber des Bahnhofs ist weitgehend verwaist. Jahrzehntelang kauften die Soldaten im Dorf ein, gingen zum Arzt, tranken und aßen. "Ohne Mampf kein Kampf", sagte man in Andermatt. Nun schlossen Metzgerei, viele Kneipen und zwei der drei Lebensmittelgeschäfte.
Gemütlich, aber behäbig
Vielleicht ist Sawiris die große Chance für eine neue Zeit in Andermatt. Der Mann, der Andermatt zurück in die Zukunft bringen könnte. Schließlich war der Ort Anfang des 20. Jahrhunderts, bevor das Militär kam, einmal mondänes Ziel für Touristen. Nun aber soll der Luxus zurückkehren. Jetzt, da es in Andermatt nur noch Zwei- und Drei-Sterne-Hotels gibt wie das "Drei Könige." Wo Sawiris immer wohnt, wenn er in Andermatt weilt. Es ist das beste Haus am Ort. Mit dunklen Holzvertäfelungen und schweren Bordüren an den Fenstern. Gemütlich, aber behäbig. Das alte Andermatt.
Sawiris ist auf dem Weg dorthin an einem grauen Vormittag im März. Er sitzt in einer schweren Limousine, die von Zürich aus über die Autobahn rollt. Sein Chauffeur fährt einen Umweg über Luzern, wo Sawiris an einer Podiumsdiskussion teilnimmt zum Thema "Business Excellence", weil er in Schweizer Wirtschaftskreisen mittlerweile ein Star ist. Er packt an und arbeitet hart wie ein Eidgenosse, besitzt dabei aber eine Leichtigkeit und Spontanität, die den Schweizern seit je her ein bisschen fehlt. Die Moderatorin fragt ihn, wie man es schafft, ein solch gigantisches Projekt zu stemmen. Und er antwortet, dass die Arbeit Spaß machen sollte. Er zum Beispiel mache immer nur Projekte, die ihm Spaß machten. Nur so käme auch der Erfolg. Und dann sagt er noch, leise und ruhig, wie er meistens spricht: "Mir ist bisher immer alles gelungen."
Ein Dorf, ideal für seine Pläne
Für den neuerlichen Erfolg soll der erste Spatenstich erfolgen, sobald 2009 der letzte Schnee verschwunden ist. Andermatts Weg in die Zukunft würde dann zementiert werden. Ein Weg, der sich schon im Februar 2005 abzeichnete. "Als ich durch Zufall nach Andermatt kam", wie Sawiris oft sagt. Der Schweizer Botschafter hatte ihm das Dorf gezeigt, das doch ideal wäre für seine Pläne. Sawiris war rasch seiner Meinung.
Und Karl Danioth rasch Sawiris' Meinung. Er war damals Talamann, Bürgermeister für das ganze Urserntal. Ein wichtiger Mann. Danioth, sonnengegerbt von der Arbeit als Landwirt, sitzt in der Stube seiner Wohnung. Von einem Schrank starrt ein ausgestopfter Fuchs. Danioth sagt, die einzige Konstante hier in der Region sei der Wandel. Seine Handkante geht auf den Eichentisch nieder: "Ich hab' immer davon geträumt, dass bei uns irgendwann noch mal etwas Großes geschieht." Danioth ist 66 Jahre alt, sein Leben lang waren die Soldaten im Ort, schossen gleich neben den Weiden seiner Kühe, die seit einiger Zeit die Kühe seines Sohnes sind. Nicht mehr lange aber, denn ein Teil des Bodens, den Sawiris beansprucht, war Weidegrund der Danioths. Der Boden sei verkauft, weil Sawiris dem Sohn schon eine Stelle im Resort versprochen habe. "Wir wissen nur noch nicht, was für eine."
Möglichst früh Prominente anlocken
Vom Erfolg Sawiris' ist Danioth überzeugt. Zu gut sei das Konzept: In der ersten Bauphase sollen nur der Golfplatz und ein Drittel der Immobilien gebaut werden, die dann verkauft werden. An Privatleute und an Hotelketten wie Steigenberger oder Sheraton, mit denen Sawiris in fortgeschrittenen Verhandlungen steht. Wird das Angebot dann gut angenommen, soll das zweite Drittel folgen und zu schon wesentlich höheren Preisen verkauft werden. Möglichst früh möchte Sawiris prominente Namen anlocken: Schauspieler, Industrielle, Showstars. Damit der Ort einen edlen Klang bekommt und zahlungskräftige Klientel anzieht.
Andermatt liegt Sawiris mittlerweile zu Füssen wie dem Gotthard. Manche nennen ihn auch schon den Messias vom Urserntal. Nur einige wenige äußern Bedenken. Fällt ihr Name, heißt es meist: "Ach, die!"
Das Vertraute liegt am Herzen
Peter Indergand hat seit einiger Zeit einen schlechten Ruf im Ort. Er wohnt nur ein paar Meter entfernt von Karl Danioth, ihre Ansichten aber liegen weit auseinander. Indergand, ein schmaler Mann mit weißem Rauschebart, führt hinauf in seine Dachwohnung. Er sagt: "Ich bin jetzt 71, ich dürfte mich eigentlich gar nicht mehr aufregen." Den Großteil seines Lebens hat er in Andermatt verbracht. "Und was einem vertraut ist, liegt einem eben am Herzen." Indergand zweifelt daran, dass ihm das neue Andermatt noch vertraut sein wird. Er zweifelt daran mit leiser Stimme, denn ein lauter Revolutionär möchte er nicht sein. Das passe nicht zu einem, der 20 Jahre lang Leiter der örtlichen Kantonalbank war. Er fürchtet, dass mit all dem Schönen und Großen das Familiäre auf der Strecke bleiben wird. Der Charme des nicht ganz Perfekten, weil ja auch das alte Andermatt mitziehen und sich an die neue, reiche Kundschaft anpassen müsse, will es vom großen Kuchen etwas abbekommen. "Und außerdem: die Arbeitsplätze. Wo entstehen die denn? Und für wen?" Das meiste wären doch einfache Tätigkeiten, Zimmerservice, Reinigungskräfte. "Die Leute hier danken jetzt schon alle. Die sollen doch aber erstmal denken und abwarten, bis wirklich etwas steht," sagt Indergand. Der Sawiris sei natürlich ein wunderbarer Redner, aber eben genauso ein harter Geschäftsmann, der dort baut, wo die Lage sich als vielversprechend erweist. Nicht aus reiner Liebe zu Land und Leuten. Dann entschuldigt sich Indergand. "Ich höre besser auf jetzt, sonst werde ich wieder zu emotional."
Samih Sawiris ist derweil auf dem Rückflug nach Kairo. Dann muss er weiter nach Marokko. Er plant und baut derzeit sechs Projekte gleichzeitig, weltweit. Jenes in Andermatt ist von allen das kleinste.