Raqs Sharqi Viel mehr als Erotik: Wie Bauchtanz Körper, Geist und Seele beflügelt

  • von Susanne Donner
Bauchtanz Frau lächelt und tanzt
Orientalischer Bauchtanz stärkt nicht nur den Rücken, sondern vermittelt Frauen auch ein oft verloren gegangenes Körpergefühl
© AlexaxKuszlik
In arabischen Ländern hat Bauchtanz eine lange Tradition und auch hierzulande begeistert er viele Frauen. Dafür gibt es handfeste Gründe – auch medizinische.

Der Frauenarzt betrachtete die Lage meines Babys im Bauch. Es lag bereits mit dem Köpfchen nach unten. Noch drei Wochen bis zu Geburt. Der Arzt ist ein wortkarger, aber sehr erfahrener Mann, der mehr als tausend Entbindungen in Berlin begleitet hat. Er tastete kurz mein Becken ab und sagte mit einem schmallippigen Lächeln: "Die Geburt wird bei Ihnen gut gehen."

Damals wusste ich seine Bemerkung nicht zu deuten. Doch das sollte sich ändern: Meine erste Tochter kam in acht Stunden zur Welt, meine zweite zu Hause auf dem Sofa in vier Stunden. Mein Frauenarzt zweifelte nicht daran, dass das daran lag, dass ich seit vielen Jahren orientalischen Tanz, genau gesagt: Raqs Sharqi, praktizierte.

Bauchtanz: gut für die Geburt

Die Gesundheitswissenschaftlerin Jessica Kram aus den USA schlägt gar vor, Frauen sollten unter der Geburt ihr Becken kreisen lassen wie in diesem Tanz. Denn die Kreise lockern die Muskeln des Beckenbodens und lösen tiefe Verspannungen. Das könne die Schmerzen vermindern und die Geburt verkürzen.

Bauchtanz Susanne Donner
Tanz mit dem Tablett: Die Autorin Susanne Donner tanzt Raqs Sharqi im Saal der Empfänge in den Gärten der Welt in Berlin
© Martin Langner

Oft wird der archaische Tanz des Raqs Sharqi, der einen seiner wesentlichen Ursprünge in Ägypten hat, hierzulande als "Bauchtanz" dargeboten. Ein Begriff, den die Franzosen im 19. Jahrhundert beim Anblick professioneller Tänzerinnen aus Ägypten auf der Weltausstellung 1889 wählten. Doch letztlich ist das ein folgenreiches Missverständnis.

Denn es ist nicht der Bauch, der da in achtförmige, kreisende und vibrierende Schwingung versetzt wird. Es sind die Wirbelsäule und mit ihr die großen Resonanzräume des Brustkorbs und Beckens. Das unterstreichen eindrucksvolle Experimente des Neurophysiologen Theodore Milner von der kanadischen McGill Universität. Er zeichnete die elektrischen Erregungen in den Rückenmuskeln bei rhythmischen und wellenförmigen Bewegungen tanzender Frauen auf und stellte erstaunt fest: Diese entsprechen den Bewegungen unserer Wirbeltiervorfahren. Die Hüftschüttelbewegungen, Shimmies genannt, gleichen je nach Frequenz den Wirbelbewegungen von laufenden oder schwimmenden Salamandern oder Neunaugen. Milner zieht daraus den Schluss: Im orientalischen Tanz können archaische und konservierte Bewegungsmuster wachgerufen werden. 

Vorbeugend gegen Rückenleiden und Menstruationsschmerzen

Da der Tanz auf einer sehr beweglichen Wirbelsäule beruht, verbessert er immer die Haltung, beugt Rückenleiden vor und lindert diese, betont die US-Soziologin Angelina Moe, die sich eingehend mit dem orientalischen Tanz befasst hat. Mediziner haben ihn deshalb in der Vergangenheit immer wieder zur begleitenden Behandlung von Kreuzbeschwerden empfohlen.

Hinzu kommt, dass der Tanz im Alltag oft angespannte Körperbereiche, nämlich den Brustkorb und das Becken, anspricht. Auf diese Weise kräftigt Raqs Sharqi die Tiefenmuskulatur im gesamten Rumpf bis in den Beckenboden und löst Verspannungen. Forschende in Korea, wo der Tanz mittlerweile ebenfalls beliebt ist, belegten dies in einer Studie: Die Beckenbodenmuskulatur von zwölf Probandinnen verbesserte sich nach zwölf Wochen Praxis in orientalischem Tanz deutlich. Sie empfehlen den Tanz zur Vorbeugung von Menstruationsbeschwerden bei Mädchen, genauso zur Rückbildung nach der Geburt und zur Vorbeugung einer Harninkontinenz bei älteren Frauen. Aspekte, die einst gut bekannt waren, weshalb Frauen jeden Alters in Ägypten täglich zu Hause tanzten und der Tanz auch bei Übergangsritualen einen wichtigen Stellenwert hatte.

Die US-Soziologin Angelina Moe führte umfassende Befragungen zum orientalischen Tanz durch und bemerkte, dass er zudem entspannt und Stress abbaut. "Er adressiert Körper und Geist in ähnlicher Weise wie Yoga und sorgt darüber hinaus dafür, dass Frauen mit ihrem Körper Frieden schließen und ihn genießen." Auf den Tänzerinnen laste gerade kein Druck, eine bestimmte Figur oder Statur zu haben, wie in vielen anderen Tanzstilen. Ganz im Gegenteil: Untrennbar mit dem Tanz verknüpft ist, den eigenen Körper wertzuschätzen, ob hager, zierlich, rundlich oder stämmig.

Getanzte Sinnlichkeit für ein besseres Körpergefühl

Dies mündet in die ausgeprägte Sinnlichkeit des Tanzes, ebenfalls eine Besonderheit, die leider oft mit einer sexuellen Aufladung verwechselt wird. Sinnlich zu sein, bedeutet jedoch nicht mehr und nicht weniger, als sich überall im Körper spüren zu können. Eine Fähigkeit, die gerade bei psychischen Krankheiten nachweislich sehr in Mitleidenschaft gezogen ist. Generell erleben Tanzlehrerinnen ausgesprochen viele Frauen und Mädchen, die beschreiben, ihr Becken, ihre Hände, ihren Brustkorb, ihre Füße oder andere Körperregionen nicht richtig zu fühlen. Im Laufe des Übens beleben sich diese blinden Zonen nach und nach – zur Freude der Betroffenen. Eine ganze Reihe von Studien beschreiben denn auch einen deutlichen positiven Effekt des orientalischen Tanzes auf das eigene Körperbild: Die Selbstwahrnehmung und das Selbstbewusstsein wachsen. 

Darauf macht auch die Tanz- und Gesundheitsforscherin Leonessa Boing von der brasilianischen Santa Catarina State University aufmerksam: 53 Frauen mit Brustkrebs ließ sie entweder für sechzehn Wochen an einem Pilates-Training oder an einem Kurs in orientalischem Tanz teilnehmen. Nach dem Kennenlernen des sinnlichen Tanzes fühlten sie sich viel wohler in ihrem Körper. Pilates hatte keine solche Wirkung, wie sie 2023 in ihrer Studie berichtet. "Dieses Gefühl kann das Leben der Frauen verändern", schwärmt Boing.

Nun kann auch eine Psychotherapie dabei helfen, mit dem eigenen Körper Frieden zu schließen. Das Interessante ist, dass Raqs Sharqi seine vielen positiven Wirkungen auf die Psyche und die Gesundheit nebenbei erzielt. Er dient nicht vordergründig dazu, dass man mit seiner Figur ins Reine kommt, dass man weniger Rücken- oder Menstruationsprobleme hat oder sich sinnlicher im Alltag fühlt. Primär weckt er Gefühle zur Musik, Freude an Bewegung und am Miteinandertanzen. "Der Tanz hat eine wichtige soziale und bestärkende Funktion für Frauen, die eine Art Schwesternschaft erleben können", betont Moe. 

Manchmal werden sie verzückt sein von der Musik, einem erhebenden Gemütszustand, der so zentral für den Tanz ist, dass es im Arabischen sogar ein eigenes Wort dafür gibt: "Al Tarab". Menschen, die nicht tanzen, erleben diesen Zustand vielleicht auch beim ruhigen Betrachten eines schönen Sonnenuntergangs.

Ich bin wohl nicht gleich verzückt, aber doch gebannt gewesen, als ich 1998 eine mit wenigen puristischen Linien gezeichnete Tänzerin auf einem Plakat an meinem damaligen Wohnort Karlsruhe sah. Sie war ganz in ihren Tanz versunken. Die Zeichnung, im Original ein Aquarell von Jawid Selim, diente als Werbung für einen Raqs-Sharqi-Kurs. So kam ich zu meiner ersten Tanzstunde und entwickelte eine große Liebe zu diesem Tanz, die mich später eine Zeit lang nach Ägypten brachte. Heute unterrichte und zeige ich den Tanz, um ihn mit anderen Menschen zu teilen und weiterleben zu lassen.

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