Wenn "Aktenzeichen XY" an diesem Mittwoch wieder um Hinweise des TV-Publikums zur Aufklärung von Verbrechen aufruft, ist es gleichzeitig ein Abschied: Alfred Hettmer präsentiert zum letzten Mal am Ende der Sendung die ersten Hinweise der Zuschauer zu den gezeigten Fällen. Seit gut 20 Jahren ist er den Zuschauern durch diese Aufgabe bekannt. Bereits seit Mitte der 80er-Jahre gehört der frühere Ermittler des Landeskriminalamts Bayern zum Team der ZDF-Sendung, 2002 übernahm er die Leitung des "XY"-Aufnahmestudios.
Wenige Tage vor der aktuellen Sendung gab Hettmer dem stern ein schriftliches Interview. Der gebürtige Ingolstädter lässt darin Fälle Revue passieren, die ihn besonders bewegten und sagt, welche Art von Kriminalität ihm persönlich sehr nah geht. Und er verabschiedet sich von TV-Moderator Rudi Cerne. Obwohl – so ganz hört Hettmer noch nicht auf bei "Aktenzeichen XY".
Aufwühlende Fälle und der Abschied von Rudi Cerne – Alfred Hettmer über seine vielen Jahre bei "Aktenzeichen XY"
Lieber Herr Hettmer, seit 20 Jahren präsentieren Sie die ersten Zuschauer-Hinweise am Ende der Sendung "Aktenzeichen XY". Jetzt hören Sie auf. Warum verabschieden Sie sich? Und wird es ein kompletter Abschied von "Aktenzeichen XY" sein?
Ich bin mit meinen 68 Jahren ja auch nicht mehr der "Allerjüngste". Ich wollte vor allem auch niemals den Eindruck erwecken, dass man mich "von der Bühne heruntertragen muss". Deshalb ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, das Zepter an einen jüngeren Kollegen/in weiterzugeben.
Darüber hinaus geht meine Frau im Februar 2024 auch in Rente und wir haben noch etwas mehr Zeit für gemeinsame Unternehmungen.
Ein endgültiger Abschied ist es aber noch nicht. Ich werde auch im nächsten Jahr an drei bis vier Sendungen teilnehmen und die Kolleginnen und Kollegen vom Bayerischen Landeskriminalamt im Aufnahmestudio unterstützen. Dann allerdings nur mehr im Hintergrund.
Welcher Fall hat Sie in den vergangenen 20 Jahren am meisten bewegt?
Diese Frage wurde mir schon sehr oft gestellt. Es haben mich aus verschiedenen Gründen mehrere Fälle sehr bewegt. Lassen Sie mich zwei davon kurz aufgreifen.
Zum einen ist es der Fall Lolita Brieger. 1982 ist das Mädchen spurlos verschwunden. Die Polizei ging von einem Tötungsdelikt aus, es gab aber keine Leiche und auch keine Beweise für diese Vermutung. 2011 wurde der Fall dann bei "Aktenzeichen XY" nochmals vorgestellt. Der Ermittler appellierte in der Sendung an das Gewissen möglicher Mitwisser, sich zu melden. Kurz darauf klingelte im Studio das Telefon, den Anruf habe ich selbst entgegengenommen. Es war der Ansatzpunkt für weitere umfangreiche Ermittlungen, die dazu geführt haben, dass die Leiche von Lolita Brieger gefunden werden konnte und die Straftat aufgeklärt wurde. Nach 29 Jahren bekam die Mutter des Opfers Gewissheit, was mit ihrer Tochter passiert ist. Einen Mord konnte man dem Täter nicht mehr nachweisen, der Totschlag war bereits verjährt.
Zum anderen hat mich der Fall Mark Herbert sehr bewegt. 2012 wurde er nach einem Fußballspiel grundlos zusammengeschlagen und war von da vom Hals abwärts gelähmt. Ein Tatverdächtiger konnte zwar ermittelt werden, es fehlten aber die Beweise, um ihn zu überführen. 2015 war der Fall dann in der Sendung. Ein Zeugenaufruf des Ermittlers brachte den entscheidenden Hinweis. Der Tatverdächtige konnte überführt und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden.
Und welche Art von Kriminalität geht Ihnen besonders nah?
Aus den angeführten Beispielen wird schon ersichtlich, dass Straftaten gegen Leib und Leben immer besondere Emotionen hervorrufen und einem besonders nah gehen. Betroffen, schockiert und wütend bin ich aber auch, wenn es um dreiste Betrugsmaschen geht. Obwohl die Polizei regelmäßig davor warnt und auch "Aktenzeichen XY" im Zuge der Prävention dieses Thema immer wieder aufgreift, fallen tagtäglich viele Mitbürger und Mitbürgerinnen darauf rein. Meistens sind ältere Menschen davon betroffen, die durch Schockanrufe oder den Enkeltrickbetrug viel Geld, manchmal sogar ihre gesamten Ersparnisse verlieren.
Gab es auch lustige oder sogar peinliche Momente vor der Kamera, an die Sie jetzt beim Abschied nochmal zurückdenken?
Recht viel fällt mir dazu nicht ein. Es gab sicher einige Versprecher, manches hätte man bestimmt besser formulieren können, es war aber scheinbar nichts Gravierendes dabei. Als peinlich würde ich aus heutiger Sicht meinen ersten Auftritt vor 20 Jahren bezeichnen, an den ich mich noch gut erinnern kann. Ich war so nervös und aufgeregt, dass ich kaum ein Wort über die Lippen brachte und meine Stimme war so leise, dass mich womöglich kein Zuschauer verstanden hat.
Hat sich "Aktenzeichen XY" in den vergangenen 20 Jahren verändert? Und gibt es Veränderungen in der Kriminalität und der Verbrechensbekämpfung?
An den Basics, dem grundlegenden Format von "Aktenzeichen XY", hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Es geht nach wie vor um die Aufklärung von Straftaten, die Festnahme von Straftätern und das Auffinden von Vermissten.
Einige Neuerungen und Anpassungen sind aber erfolgt. Zum Beispiel die "XY-Spezialausgaben", die ein- bis zweimal pro Jahr ausgestrahlt werden. Diese Ausgaben sind immer auf ein bestimmtes Thema ausgerichtet.
Die Sendung "Wo ist mein Kind" beschäftigte sich ausschließlich mit Fällen, in denen Minderjährige oder junge Erwachsene als vermisst gemeldet sind. Zwischenzeitlich heißt die Sendung "Vermisst" und widmet sich vermissten Personen jeden Alters.
Beim Thema "Cold Cases" werden zurückliegende Mordfälle gezeigt, die von der Polizei erneut aufgegriffen und bearbeitet werden.
Die Sendung "Vorsicht Betrug" ist dem Thema Prävention zuzuordnen. Zuschauer und Zuschauerinnen werden über aktuelle Betrugsmaschen informiert und gewarnt.
Daneben gab es auch einige programmtechnische Veränderungen. Seit 2005 wird die Sendung zwölfmal statt zehnmal ausgestrahlt. 2008 wurde die Sendezeit von 60 auf 90 Minuten erweitert.
Die Kriminalität ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen und Entwicklungen. Damit ist klar, dass auch die Kriminalität einem ständigen Wandel unterliegt.
Die Polizei muss sich ständig diesen Aufgaben stellen, die sich ändernden Rahmenbedingungen immer im Blick haben, das eigene Verhalten überprüfen und Mittel und Methoden für Gegenmaßnahmen finden. Ein sehr wichtiger und oftmals entscheidender Baustein für die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist die Kriminaltechnik. In diesem Bereich gab es in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte und Verbesserungen.
Was möchten Sie Rudi Cerne zum Abschied sagen?
Vielen Dank für deine Unterstützung, vielen Dank, dass du mich immer souverän durch die Schlussabfrage begleitet hast. Ich wünsche Dir noch viele erfolgreiche "XY"-Sendungen mit hohen Einschalt- und guten Aufklärungsquoten. Privat wünsche ich Dir und Deiner Familie alles erdenklich Gute, vor allem Gesundheit.
"Aktenzeichen XY...ungelöst" läuft am Mittwoch, 29. November um 20.15 im ZDF
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