Amstetten Reiseziel "Horrorhaus"

Seit Tagen versuchen Paparrazzi mit allen Mitteln Fotos der Familie Fritzl zu schießen. Für ein Foto der von ihrem Vater missbrauchten Elisabeth sollen inzwischen eine Million Euro geboten werden. Doch noch andere Störenfriede sorgen in Amstetten für Verstimmung: Touristen, die einen Abstecher zum "Horrorhaus" machen.

Belagerungszustand über der Landesklinik Amstetten-Mauer: Seit Tagen haben sich Fotografen mit langen Teleobjektiven und TV-Kamerateams aus aller Welt rund um die Nervenklinik postiert. Übertragungswagen mit Satellitenschüsseln auf dem Dach parken vor dem Gelände, um jederzeit "auf Sendung" gehen zu können. Sieben Menschen sind ihr Ziel, sieben Menschen, die nach Meinung der Ärzte auf unabsehbare Zeit nichts dringender bräuchten als Ruhe. Menschen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unvorstellbares Leid erlitten, das viele andere nicht überlebt hätten. Doch die eindringlichen Bitten der Mediziner und der Polizei, die Privatsphäre des Inzestopfers Elisabeth F., fünf ihrer Kinder und ihrer 68 Jahre alten Mutter zu respektieren, sind bisher auf taube Ohren gestoßen.

Bis zu eine Million Euro bietet nach österreichischen Presseberichten die Regenbogenpresse inzwischen für ein erstes "Live"-Bild von der Frau, die von ihrem Vater fast ein Vierteljahrhundert in ein Kellerverlies eingesperrt und von ihm immer und immer wieder vergewaltigt wurde.

Fünf der sechs Kinder, die das Ergebnis der inzestuösen Gewalt sind, leben jetzt mit der Mutter und der Großmutter in einer Wohnung auf dem Gelände der Klinik. Die älteste Tochter Kerstin ist lebensgefährlich erkrankt und liegt in einem anderen Krankenhaus im künstlichen Koma.

"Familie braucht Zeit"

Die Opfer werden von Medizinern, Sozialarbeitern und Psychotherapeuten betreut. Die Fenster nach draußen sind etwas abgedunkelt. 24 Jahre in fahlem Kunstlicht haben die Augen Elisabeths und der mit ihr im Keller lebenden Kinder empfindlich gemacht. "Die Familie braucht jetzt Zeit", mahnt der Leiter der Landesklinik, Berthold Kepplinger. Man müsse verstehen, dass die Opfer jetzt nicht an die Öffentlichkeit treten wollten. Sie hätten "nach dem schrecklichen Martyrium ein Recht auf Privatsphäre". Doch Paparazzi nehmen keine Rücksicht: Indiskretion ist ihr Beruf.

Um ans Ziel, das heißt an ein Bild der Opfer zu kommen, ist den Reportern jedes Mittel recht. So musste das von der Klinik extra angestellte Wachpersonal Anfang der Woche Dutzende Fotografen von Bäumen in der Umgebung verjagen, in denen sie sich mit ihren Super-Teleobjektiven eingenistet hatten. Doch damit nicht genug. Wie Krankenhausmitarbeiter der Zeitung "Kurier" berichteten, gruben sich Paparazzi in Tarnjacken auf der Jagd nach der Familie sogar in Waldstücken in der unmittelbaren Umgebung ein.

Ein Fotograf verkleidete sich als Polizist. Andere verschafften sich über Hinter- oder Kellereingänge Zutritt zur Klinik, wurden dort aber vom Personal gestellt. Am Dienstag gelang es einem ganzen Team, bis in die Direktionsräume der Klinik vorzudringen, teilte der Sprecher der niederösterreichischen Landeskliniken, Klaus Schwertner, mit. Die rücksichtslosen Kameraleute ließen sich sogar auf Handgreiflichkeiten ein, bei denen ein Krankenhausmitarbeiter am Schienbein leicht verletzt wurde. Inzwischen wird die Familie von Mitgliedern der österreichischen Elitepolizei Cobra und einem privaten Sicherheitsdienst "bewacht".

Urlaub in Amstetten

Doch nicht nur die Klinik ist seit Tagen das Ziel von Neugierigen. Das Bezirksstädtchen Amstetten, vor allem aber das "Haus des Horrors", wie Boulevardblätter das Haus der Fritzls in der Ybbsstraße nennen, ist zum Reiseziel von Urlaubern - nicht wenige aus Deutschland - geworden. Sie nehmen, so Vizebürgermeisterin Ursula Puchebner, einen "Umweg" von der Autobahn in Kauf, um einen kurzen Blick auf den grauen Block zu werfen, in dessen Keller sich fast ein Vierteljahrhundert unbeschreibliche Szenen abgespielt haben müssen. "Die Motivation, die dahintersteht, ist nicht nachvollziehbar", meint Puchebner. Dieser "Katastrophentourismus" trifft auf eine Stadtbevölkerung, die durch die jüngsten Ereignisse zutiefst erschüttert ist.

Das Verlies im 3D-Modell

Puchebner und die Polizei sind sich darüber im Klaren, dass sie gegen diese Form der Sensationslust kaum angehen können. Für Elisabeth F. und ihre Familie lässt der Medienrummel nichts Gutes ahnen. Schon am Tag nach ihrer Befreiung meinte der Bezirksvorsteher von Amstetten, Hans-Heinz Lenze, man werde wohl um eine Namensänderung und eine neue Identität für die Betroffenen "nicht herumkommen".

Schuld daran, schrieb das Fachmagazin "Der österreichische Journalist", seien die Medien: "Nach gängiger Rechtslage (...) haben praktisch alle Medien die festgesetzten Grenzen überschritten", die vom Gesetzgeber gezogen wurden. Doch nicht nur sie. Auch die Polizei musste sich schon Vorwürfe anhören. Immerhin veröffentlichte Kripochef Franz Polzer am ersten Tag nach der Befreiung der Inzestopfer den vollen Namen des Täters. Der Schutz der Opfer wurde damit nach Meinung von Juristen eindeutig erschwert.

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Christian Fürst/DPA

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