Zuerst zweifelte Christian Quilitz an sich selbst: Träumte er jetzt schon von seinen Treckern? Es war 2.03 Uhr, als er in dieser kalten Dezembernacht aus dem Schlaf schreckte – eigentlich keine Erntezeit. Aber da knatterte schon der Nächste an seinem Schlafzimmerfenster vorbei, diesmal der große Claas, 270 PS. Seine Lieblingsmaschine. Also doch!
Quilitz, 44, erkennt jeden Kolben am Geräusch. Er könnte damit bei "Wetten, dass..?" auftreten. Manchmal machten sich die Kollegen schon lustig über sein Verhältnis zu den Zugmaschinen. Doch ohne den kleinen und den großen Claas läuft nichts in der Agrargenossenschaft Odertal. Um diese Zeit stehen sie normalerweise in einer Scheune, etwa einen Kilometer von dem Ort Lunow entfernt, wo Quilitz wohnt.
Verfolgung im Opel
"Es gab nur eine Möglichkeit", sagt er zwei Tage später, und das Adrenalin lässt seine Stimme immer noch beben. "Ich musste hinterher." Also sprang er aus dem Bett, schnappte sich Hose und Handy und nahm mit seinem Opel Zafira die Verfolgung auf. "Die Richtung war ja klar."
Schon in den Monaten zuvor waren in der Gegend um Angermünde, nordöstlich von Berlin, immer wieder Landmaschinen verschwunden, allein sieben Traktoren im vergangenen Jahr. Quilitz und seine Genossenschaft hatten bisher Glück – "aber keine Ahnung, wie hilflos man sich fühlen kann".
Stacheldrähte statt Freiheit
Als die Schengen-Grenzen am 21. Dezember 2007 nach Osten verschoben wurden, versprach die Politik "mehr Freiheit" für alle, "mehr Sicherheit". Das Wohlstandsgefälle im Osten sollte sich mit dem Verschwinden der Kontrollschranken auflösen. Stattdessen: ängstliche Bürger und Stacheldrähte, die die Pkws und Kraftfahrzeuge vor Diebstählen sichern sollen. "In Wahrheit hat man uns damals zum Plündern freigegeben", sagt Hein Dabo, der Besitzer einer Autoverwertungsfirma in Brandenburg.
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Nirgendwo werden – bezogen auf die Zulassungszahlen – mehr Autos gestohlen als am östlichen Rand der Republik. In manchen Orten hat sich die Zahl der Eigentumsdelikte in wenigen Jahren verzehnfacht. Neue Diebstähle werden angezeigt, noch ehe die vorherigen von der Versicherung abgewickelt sind. Die Diebe kommen in Banden, oft aus Polen, Litauen und der Ukraine. Sie stehlen Fahrzeuge und verscherbeln sie auf Ersatzteilmärkten, das Geschäft blüht.
Das Dilemma von Politik und Polizei
Für die aktuelle Ausgabe des stern ging Holger Witzel auf Spurensuche entlang der Grenze zwischen Deutschland und Polen. Er sprach mit Bewohnern der Grenzgebiete, die sich machtlos fühlen und mit Polizeibeamten, denen es nicht anders geht. Denn die Polizei steckt in einem Dilemma. Sie darf nach dem Schengen-Kodex die Grenzen gar nicht lückenlos kontrollieren, bestellte Bereitschaftspolizisten wohnen in Frankfurt, Stunden weg vom Geschehen. So hinkt die Polizei den Tätern hinterher, Verfolgungsjagden lohnen sich kaum. Zur Politik dringen die Hilferufe der Grenzbewohner nicht durch. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier jedenfalls beschwört noch immer "die gewonnene Freizügigkeit, von der wir alle profitieren", auch wenn er bei der Vorstellung der Kriminalstatistik im vergangenen Mai erstmals davon sprach, dass man die Sorgen über die Kriminalstatistik in den Grenzregionen als berechtigt ansehe.