Foltermod von Siegburg "Sie kennen weder Angst noch Ärger"

Pascal I. ist ein gefühlloser Schläger, dem nicht mehr zu helfen ist. Das meinen Bekannte des wegen des Foltermords von Siegburg verurteilten 21-Jährigen. Auch Psychiater Steffen Lau von der Berliner Charité sagt im stern.de-Interview: Menschen wie Pascal I. sind schwer zu integrieren.

Herr Lau, ist ein Mensch wie Pascal I. überhaupt resozialisierbar?

Es ist ausgesprochen schwierig, Menschen mit dissozialer (unfähig, sich in die bestehende Gesellschaft einzuordnen, Anm. d. Red) Persönlichkeit wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Persönlichkeiten orientieren sich nur an ihren eigenen Bedürfnissen. Die der anderen nehmen sie dagegen nicht wahr. Sie sind von ausgesprochener Gefühllosigkeit geprägt: Angst und Ärger kennen sie nicht. Deswegen fürchten sie sich auch nicht davor, ins Gefängnis zu kommen. An diesem Punkt können Psychologen aber ansetzen. Es kann gelingen, durch intensive Therapien dissoziale Menschen soweit zum Umdenken zu bewegen, dass sie nach Ihrer Entlassung kein Risiko mehr für die Gesellschaft darstellen.

Woher kommt dissoziales Verhalten?

Das ist eine Anlage, die manche Menschen von Geburt an haben. Kommt ein Umfeld hinzu, dass dissoziales Verhalten toleriert oder sogar fördert, kann es schon bei kleinen Kindern zu ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten kommen, wie es offenbar auch bei Pascal I. der Fall war. In der Pubertät festigen sich diese Persönlichkeitsstrukturen weiter, wenn niemand etwas dagegen unternimmt. Schwerverbrecher wie Pascal I. sind oft schon früh verhaltensauffällig.

Warum wird nicht besser dafür gesorgt, dass Kinder gar nicht erst kriminelle Karrieren entwickeln können?

Sicherlich müssen Jugendämter und Behörden noch stärker als bisher Menschen mit hoher Gewaltbereitschaft identifizieren und Maßnahmen zur Prävention ergreifen. Juristisch gesehen ist es aber immer sehr schwierig, gegen eine Person Zwangsmaßnahmen zu verhängen. Diese Frage muss immer wieder zwischen den beiden Punkten‚ 'Sicherheit der Allgemeinheit' und 'Schutz der Freiheit der Einzelperson' abgewogen werden. Das ist auch im Jugendschutz so.

Zur Person

Dr. Steffen Lau ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Forensische Psychiatrie der Berliner Charité befasst sich Lau mit der Rückfälligkeitswahrscheinlichkeit von Straftätern.

Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden?

Die Politik nimmt die Defizite inzwischen sehr ernst, und lotet eine Vielzahl von Möglichkeiten aus, um Gefahren durch gewaltbereite Personen besser ausschließen zu können. Das Bundesjustizministerin arbeitet beispielsweise an einer Änderung des Jugendschutzrechtes, um genau diese kriminellen Karrieren wie die von Pascal I. besser unterbinden zu können.

Pascal ist bereits Vater. Hat er dadurch bessere Chancen, in ein normales Leben zu finden?

Das glaube ich kaum. Pascal I. wird die nächste Jahre im Gefängnis verbringen, so dass er eigentlich kaum eine Chance hat, eine emotionale Bindung zu seinem Kind aufzubauen. Auch wissen wir nicht, ob dieses Kind ein Wunschkind war oder ein "Unfall". Letzteres ist eher typisch für einen dissozialen Menschen. Sehr fraglich ist auch, ob die Mutter des Kindes überhaupt bereit ist, eine Bindung mit einem Gefängnisinsassen über so viele Jahre hinweg aufrechtzuerhalten.

Welche Therapie wird Pascal voraussichtlich bekommen?

Das hängt sehr stark von ihm selbst ab. Psychologen oder Psychotherapeuten werden zunächst durch Gespräche ausloten, ob Pascal überhaupt bereit ist, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen. Wie schnell das geht, kann niemand voraussagen. Die Erfahrung mit Schwerverbrechern zeigt, dass das viele Jahre dauert. Manche brauchen schon sehr viel Zeit, um überhaupt einen Bindung zu ihrem Therapeuten aufzubauen. Wenn das gelungen ist, wird Pascal mit seinem dissozialen Verhalten konfrontiert. Denn nur durch eine Tatbearbeitung kann die Gefahr, nach der Entlassung rückfällig zu werden, reduziert werden. Die Chancen dafür stehen, so haben Studien gezeigt, auch bei Schwerstverbrechern gut.

Wie groß ist das Risiko bei Pascal I., dass er nach seiner Entlassung wieder ein schweres Verbrechen begeht?

Das vermag heute noch niemand zu sagen. Aber Sie können sicher sein, dass Menschen wie Pascal I. über Jahre hinweg in vielen Situationen von Fachleuten sehr genau beobachtet werden wird. Wenn seine emotionale Grausamkeit tief verwurzelt ist, dann wird sich das zum Beispiel darin zeigen, dass er im Gefängnis Anpassungsprobleme hat. Er wird sich aggressiv verhalten und immer wieder gegen Regeln verstoßen. Pascal I. wird dann keine Chance auf eine frühere Entlassung haben.

Interview: Inga Niermann

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