Jesuiten-Schulen Noch ein Pater gibt Missbrauch zu

Der jahrzehntelang verschwiegene sexuelle Missbrauch an Schulen und Einrichtungen des katholischen Jesuitenordens nimmt immer größere Ausmaße an. Ein dritter Pater hat Übergriffe auf Jugendliche in Hannover gestanden, drei Opfer hatten sich gemeldet. Der Mann unterrichtete Anfang der 70er Jahre auch am Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg.

Der jahrzehntelang verschwiegene sexuelle Missbrauch an Schulen und Einrichtungen des katholischen Jesuitenordens nimmt immer größere Ausmaße an. Ein dritter Pater hat Übergriffe auf Jugendliche in Hannover gestanden, drei Opfer hatten sich gemeldet. Der Mann unterrichtete Anfang der 70er Jahre auch am Berliner Jesuiten-Gymnasium Canisius-Kolleg.

Jesuiten-Pater Bernhard Ehlen trat nach der Enthüllung als Vorstand des Hilfswerks "Ärzte für die Dritte Welt" zurück, teilte Generalsekretär Harald Kischlat am Mittwoch in Frankfurt mit. Das von Ehlen gegründete Hilfswerk habe am Dienstag aus einer Mitteilung des Jesuitenordens erfahren, dass der Geistliche einen von ihm begangenen sexuellen Missbrauch in den 70er Jahren gestanden habe.

Der Schulleiter des Berliner Jesuiten-Gymnasiums, Klaus Mertes, sagte dem "Tagesspiegel", es sei wohl erst die "Spitze des Eisbergs" zu sehen. Frühere Lehrer und Schulleiter hätten bewusst weggesehen. "Das Schweigen ist sozusagen das Benzin für den Motor des Täters." Mertes betonte: "Das, was bei uns sichtbar geworden ist, passiert auch an anderen Schulen, nicht nur an katholischen."

Im Berlin-Blog "Spreeblick" schrieben Teilnehmer über sexuellen Missbrauch schon in den 60er Jahren, über drei weitere Täter und eine "lange "Tradition" der Übergriffe" an der Berliner Schule. Unter dem Pseudonym "Ehemaliger" meinte ein Teilnehmer: "Es gab auch Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre von anderen Patres Annäherungsversuche und streben nach körperlichem Kontakt zu Schülern."

Der geständige dritte Geistliche war von 1981 bis 1983 auch an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule beschäftigt und soll dort ebenfalls Jungen belästigt haben. "Heute hat sich ein Opfer per E-Mail bei mir gemeldet", sagte Schulleiter Friedrich Stolze der Deutschen Presse- Agentur dpa am Mittwoch. "Ich vermute, dass es weitere Benennungen geben wird", sagte Stolze. Bisher wurden drei Missbrauchsfälle an der ehemaligen Jesuitenschule in Hamburg bekannt.

Mehrere Opfer der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Gymnasium fordern neben finanziellem Schadenersatz auch vollständige Einsicht in die Akten der Schule und des Jesuiten-Ordens. "Wir wollen Aufklärung", sagte Manuela Groll, Rechtsanwältin von drei Männern, die nach eigenen Angaben vor Jahrzehnten an der Schule missbraucht wurden. "Wir haben allerdings eine ablehnende Antwort erhalten."

Zur Forderung nach Aufklärung sagte Groll weiter: "Dazu gehören auch Antworten auf die Fragen: Wer hat wann versagt? Und wen kann man zur Rechenschaft ziehen?" Sie prüfe jetzt eine Zivilklage auf Schadenersatz gegen die Schule und den Orden als Träger der Schule.

Bisher waren Taten von zwei Lehrern bekannt, die in Berlin, später auch in Hamburg, dem Schwarzwald, Hildesheim, Göttingen und dem Ausland Kinder und Jugendliche sexuell belästigten oder missbrauchten. Einer von ihnen hat die Übergriffe zugegeben.

Die deutsche Leitung des Jesuiten-Ordens in München rechnet mit weiteren Hilferufen von Opfern. Die Vorfälle aus den 70er Jahren in Hannover "geben Anlass zu der Befürchtung, dass es auch an anderen Orten solche Übergriffe gegeben hat", erklärte Jesuiten-Chef Stefan Dartmann. Er entschuldigte sich bei den Opfern im Namen des Ordens. Der beschuldigte dritte Pater habe inzwischen eine Tat zugegeben und sich nach Aufforderung selbst angezeigt. Der Orden habe den Mann vom priesterlichen Dienst suspendiert.

Nach Angaben der Jesuiten arbeitete der dritte Täter als Religionslehrer am Canisius-Kolleg (1970-1971), als Jugendseelsorger in Hannover (1971-1975), dann wieder als Lehrer und in der Jugendarbeit in Berlin (1976-1981) und schließlich als Lehrer und Jugendseelsorger in Hamburg (1981-1983). Danach sei er mehr als 20 Jahre lang Projektleiter eines Hilfswerks gewesen. Den letzten Posten musste er abgeben, als sich vor einiger Zeit ein Opfer meldete.

Nach dem Missbrauchs-Skandal sieht der Osnabrücker Bischof Franz- Josef Bode einen gewaltigen Vertrauensverlust für die katholische Kirche. Die Kirche habe in der Vergangenheit Fehler im Umgang mit Geistlichen gemacht, die sexuell auffällig geworden seien, sagte der Bischof dem Sender NDR 1. Bode ist Vorsitzender der Jugend-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Mit Bestürzung reagierte der Hamburger Erzbischof Werner Thissen auf die Vorfälle an der Sankt-Ansgar-Schule. "Es haut mich um. Und es ist furchtbar, ganz furchtbar. Es bedarf starker geistiger und psychischer Anstrengung, ruhig und sachlich mit diesen Vorfällen umzugehen", sagte Thissen dem "Hamburger Abendblatt".

Das Bistum Hildesheim will an diesem Sonntag in Hildesheim und Hannover im Gottesdienst einen Aufruf an weitere mögliche Opfer verlesen lassen, sich zu melden. Die Fälle erfüllten ihn "mit Scham und Empörung" und bedrückten ihn zutiefst, erklärte der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle. "Im Namen der Kirche von Hildesheim drücke ich den Opfern mein tief empfundenes Mitgefühl aus."

Die Deutschen Bischofskonferenz will sich nach Angaben einer Sprecherin bei ihrer nächsten Vollversammlung vom 22. bis 25. Februar in Freiburg mit dem Skandal beschäftigen. Der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky räumte Versäumnisse der katholischen Kirche ein. "In der Vergangenheit wurde seitens der Kirche das Thema des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche offensichtlich vernachlässigt", schreibt der Erzbischof in der wöchentlichen "B.Z."- Kolumne "Was hätte Jesus dazu gesagt?".

DPA
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