Das ist bisher einmalig in der amerikanischen Rechtsgeschichte. Zum vierten Mal steht in Louisiana ein Schwarzer wegen ein und desselben Verbrechens vor Gericht, für das er inzwischen schon mit fast 44 Jahren Haft gebüßt hat. Drei Mal wurde das Urteil gegen Wilbert Rideau wegen rassistisch motivierter Verfahrensfehler aufgehoben, drei Mal entschloss sich die Staatsanwaltschaft, dem Mann erneut den Prozess zu machen. Vier Mal hat ein Begnadigungsausschuss seine Freilassung empfohlen, vier Mal lehnte der Gouverneur von Louisiana ab.
Der "falsche Weg" des Verurteilten
Seit Montag muss sich Rideau nun also erneut verantworten, und nachdem sein Fall mittlerweile auch international Schlagzeilen gemacht hat, haben sich Staranwälte wie der erfolgreiche O.J.- Simpson-Verteidiger Johnnie Cochran seiner Sache angenommen. Er und Menschenrechtsgruppen rechnen vor, dass in all den Jahren mehr als 700 verurteilte Mörder in Louisiana wegen guter Führung freigekommen sind. Dass Rideau dagegen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft "im Gefängnis verrotten soll", wie es ein Anklagevertreter formulierte, führen die Verteidiger neben anhaltendem Rassismus darauf zurück, dass ihr Mandant im Gefängnis einen "falschen Weg" einschlug. Er wurde ein Musterhäftling, und er wurde berühmt.
Rideau erhielt Auszeichnungen, und das "Life"-Magazin kürte ihn zum "am besten rehabilitierten Gefangenen Amerikas". Das alles, so meint Anwalt George Kendall, hat den Hass der Staatsanwaltschaft und vieler anderer gegen Rideau in einer Region, in der vielfach auf Schwarze immer noch herab geblickt wird, nur noch mehr angestachelt.
Eine Straftat und vier Prozesse
Rideau ist nicht unschuldig, und das hat er auch nie behauptet. Es geschah 1961 in Calcasieu Parish, einem Bezirk im Südwesten des US-Staates Louisiana, auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung und in einer Gegend, in der Rassentrennung und Rassenhass so tief verwurzelt waren wie kaum anders wo in den USA: Rideau war 19, als er eine Bank überfiel, drei Geiseln nahm, eine von ihnen tötete und die beiden anderen verletzte. Nach seiner Festnahme legte er ein Geständnis ab, erhielt die Todesstrafe und landete in Louisianas Staatsgefängnis Angola, einer der berüchtigtsten Anstalten der USA.
Zwei Jahre später hob das höchste US-Gericht das Urteil wegen massiver Verstöße auf. So bestand die Jury nur aus Weißen, und darunter waren zudem ein Verwandter und ein Freund des Mordopfers sowie zwei örtliche Polizisten. 1964 kam es zum Prozess Nummer zwei, und die Jury - wieder nur Weiße - verurteilte Rideau erneut zum Tode. Die Urteilsberatungen dauerten acht Minuten. Erneut annullierte dann der Oberste Gerichtshof der USA 1970 das Urteil, wiederum wegen rassistisch bedingter Unregelmäßigkeiten. Es folgte Prozess Nummer drei, und Rideau landete ein weiteres Mal in der Todeszelle. Dann wurde die Todesstrafe in den USA vorübergehend abgeschafft und das Urteil gegen Rideau in "Lebenslang" umgewandelt.
Die Tranformation des Gefangenen
Mittlerweile begann die Transformation des Gefangenen. Rideau wurde religiös, er half seinen Mithäftlingen und wurde sogar bei den Wärtern so beliebt, dass sie ihm viele Freiheiten gewährten. Rideau lernte lesen und schreiben, entwickelte eine Leidenschaft für den Journalismus und gab seine eigene Gefängniszeitung heraus, in der er die Gewalt in der Haftanstalt offen legte. Er erhielt zahlreiche Journalismus-Auszeichnungen, so den John-F.-Kennedy-Preis. Hunderte Schulkinder wurden ins Gefängnis gebracht, um dort von Rideau vor einem kriminellen Leben gewarnt zu werden. Er selbst erhielt Hafturlaub, um an Universitäten über das Thema Gefängnisreform zu sprechen. 1997 koproduzierte er den preisgekrönten Film "The Farm: Angola USA", der auch für einen Oscar nominiert wurde.
Vor gut vier Jahren wurde das Urteil gegen ihn erneut aufgehoben: dieses Mal wegen Rassismus bei der Auswahl und beim Vorgehen jener Anklagekammer, die ihn 1961 erstmals vor Gericht brachte. Die Verteidiger boten der Staatsanwaltschaft einen "Deal" an: Rideau bekennt sich des Totschlags schuldig, erhält die Höchststrafe von 21 Jahren, die mit seiner verbüßten Haftzeit verrechnet wird, und kommt dann frei. Aber Ankläger Rick Bryant lehnte kategorisch ab: keine Gnade für Rideau, sondern Prozess Nummer vier und das auch noch direkt in Lake Charles - in der Stadt, aus der das Opfer stammte und in dem die Emotionen heute immer noch hoch kochen. Es interessiere ihn nicht, wie sich Rideau im Gefängnis entwickelt habe, sagt Bryant. "Für Mord gibt es keine Vergebung."