Als der indische Schiffskapitän SOS funken lässt, ist es längst zu spät. Die "Erika" ist nicht mehr manövrierfähig. Etwa 50 Kilometer vor dem pittoresken bretonischen Ort Penmarch bricht der 180 Meter lange Öltanker wenige Stunden später in stürmischer See auseinander. Es ist ein Sonntagmorgen im Dezember 1999. Die 26 Mann Besatzung des maltesischen Tankers können unter extrem heiklen Bedingungen gerettet werden. Nicht mehr abzuwenden ist das, was der Schiffbruch nach sich zieht: Mehr als 20.000 Tonnen Schweröl aus dem stark bejahrten Bauch der "Erika" verschmutzen etwa 400 Kilometer der französischen Atlantikküste, bis 150.000 Vögel sterben mit ölverklebtem Gefieder einen elenden Tod. Ein Milliardenschaden entsteht.
15 Personen auf der Anklagebank
Das folgenschwere Zerbersten des Schiffes am 12. Dezember 1999 mündet gut sieben Jahre später in den ersten Prozess der Justizgeschichte des Landes, in dem es um eine größere Umweltkatastrophe geht. So müssen sich seit Montag die Reeder des maltesischen Tankers, der Ölmulti Total als Charterer, der Kapitän und auch die italienische Gesellschaft für Schiffskontrollen (Rina) in einem Mammutverfahren in Paris verantworten. Nicht weniger als 15 Personen, Organisationen und Firmen wird in dem auf vier Monate angesetzten Prozess vor allem Verschmutzung, Gefährdung Dritter und unterlassene Hilfeleistung bei der Abwehr einer Katastrophe vorgeworfen. 70 Nebenkläger treten auf, darunter stark geschädigte Küstengemeinden und bretonische Verbände.
Was Untersuchungsrichterin Dominique de Talancé in sieben Jahren zusammengetragen hat, ist wahrlich kompliziert genug und soll deshalb nicht auch noch durch babylonischen Sprachwirrwarr belastet werden - allein 14 Übersetzer sind im Gericht an Deck, denn die Reeder des Unglücksschiffes sind italienisch und griechisch, die Besatzung war indisch, involvierte Schiffsmakler sind Briten. Prozesskosten in Höhe von 600.000 Euro machen die Wahrheitsfindung zu einem der teuersten Verfahren des Landes. Etwas Positives, das zur Prozesseröffnung schon feststeht: Brüssel hat seit der Umweltkatastrophe nach und nach Maßnahmen ergriffen, um europäische Gewässer zu schützen - vor allem vor einwandigen Tankern, wie es die "Erika" war. Immerhin gab es zuvor die Ölpest des Tankers "Amoco Cadiz" und danach noch das "Prestige"-Desaster.
Kampf der Gutachter
Eine Menge Gutachten und Gegengutachten kommen zur Sprache. So war dem Ölkonzern vorgeworfen worden, gegen Sicherheitsbestimmungen und seine Sorgfaltspflicht verstoßen zu haben, weil Risse auf dem Deck der "Erika" dem Charterer hätten auffallen müssen. Ein zweites, von Total in Auftrag gegebene Gutachten entlastete dann den Konzern. Es sagt, dass die Risse in den Schiffscontainern bei Kontrollen durch die Chartergesellschaft nicht feststellbar gewesen sein sollen. Diejenigen, die jetzt Schadenersatz wollen (so auch der Staat mit einer Forderung nach 153 Millionen Euro), verweisen auf die übervollen Total-Kassen - zwölf Milliarden Euro Rekordgewinn in 2005.
Der Tanker war ein Vierteljahrhundert alt. Er soll aus Kostengründen schlecht gewartet und auch überladen gewesen sein. Warnungen wegen Korrosion wurden in den Wind geschlagen. Die "Erika" sollte 30.800 Tonnen Schweröl rasch von Dünkirchen nach Livorno bringen, damit der Total-Kunde Enel seine Heizzentralen in Gang halten konnte. Dem Wintersturm bei hoher See war das Schiff nicht mehr gewachsen. Wer dafür womöglich in Haft kommt oder Strafgelder bis in Millionenhöhe zu zahlen hat, das muss das juristisch komplizierte Verfahren mit internationaler Dimension bis zum Juni herausschälen - und auch die brisante Frage klären: War nebenbei noch giftigere Fracht als das Schweröl an Bord, als die "Erika" auf ihre unheilvolle letzte Fahrt ging?