Die Türkei trägt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Mitschuld an der Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink. Der türkische Staat habe das Leben des Journalisten nicht ausreichend geschützt, befand eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts am Dienstag. Die Türkei akzeptierte das Urteil und erklärte, auf eine Berufung zu verzichten.
Das Gericht wies den türkischen Staat an, den Hinterbliebenen insgesamt 105.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte, seine Regierung werde der Forderung nachkommen. "Es wird alles Notwendige getan, damit sich derartige Verstöße in Zukunft nicht wiederholen", fügte Davutoglu hinzu.
Dinks Witwe begrüßte das Urteil des Menschenrechtsrechtsgerichtshofs: "Nach diesem Urteil wollen wir glauben, dass sich in den Bereichen Justiz und Politik vieles in der Türkei ändern wird", sagte Rakel Dink. Die Anwältin des Ermordeten, Fethiye Cetin, nannte das Urteil ein "Dokument der Schande für die türkische Justiz".
Der Journalist und Herausgeber der türkisch-armenischen Zeitschrift "Agos" war im Januar 2007 im Alter von 52 Jahren in Istanbul auf offener Straße mutmaßlich von einem Rechtsextremisten mit drei Kopfschüssen getötet worden. Zuvor hatte ihn die türkische Justiz wegen "Beleidigung des Türkentums" verurteilt. Anlass war eine Reihe von Artikeln, in denen Dink kritisierte, dass die Türkei die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs nicht als Völkermord anerkennt. Nach Veröffentlichung dieser Beiträge in den Jahren 2003 und 2004 erhielt der Vater von drei Kindern wiederholt Drohungen von Ultranationalisten.
Nach Auffassung des europäischen Menschenrechtsgerichts erfuhren Polizei und Gendarmerie in der Stadt Trabzon am Schwarzen Meer bereits Anfang 2006, dass Rechtsextremisten einen Mordanschlag auf Dink planten. Sie informierten die Polizei in Istanbul, wo der Journalist lebte und getötet werden sollte. Trotz dieser Warnung, die sogar Hinweise auf die Identität der Verdächtigten enthielt, habe die Polizei in Istanbul nicht reagiert, rügte der Straßburger Gerichtshof.
Die Verurteilung Dinks wegen "Beleidigung des Türkentums" werteten die Straßburger Richter als Verstoß gegen das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit. Zudem sei Dink aufgrund der Klage eines Nationalisten verurteilt worden. Dies habe ihn geradezu zu einer "Zielscheibe für extreme Nationalisten" gemacht. Der Gerichtshof bemängelte ferner, dass Ermittlungen der Staatsanwaltschaft über Versäumnisse von Polizei und Gendarmerie ohne Ergebnis zu den Akten gelegt wurden.