Der massive Missbrauch von Schülern der Odenwaldschule in Südhessen ist nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" (FR) jahrelang vertuscht worden. Von 1971 bis 1985 könnte es bis zu 100 Opfer gegeben haben, heißt es in dem Bericht vom Samstag. Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen den damaligen Leiter der Eliteschule, aber auch gegen andere Lehrer. Die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) kündigte eine Prüfung der Vorgänge und möglicher Versäumnisse der Schulaufsicht an. Die Grünen wollen den Fall zum Thema im Schulausschuss des Landtags machen.
Schulleiterin Margarita Kaufmann räumt in einer Erklärung auf der Internetseite der Schule ein, das Ausmaß des Missbrauchs sei größer als bisher bekannt, die Schule sei "durch die Berichte der Opfer und das Ausmaß der Verbrechen massiv erschüttert und irritiert". Bereits im August 1999 war eine Strafanzeige gegen den ehemaligen Internatsleiter bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt eingegangen. Ermittlungen habe es aber wegen der Verjährung der angeblichen Vorfälle nicht gegeben, sagte ein Sprecher damals.
Schulleiterin Kaufmann sagte der FR: "Es war eine Unterlassung und ein grober Fehler, dass die Schule damals nicht nachgeforscht hat". Es habe keine konsequente Aufarbeitung des Skandals gegeben. Sie gehe davon aus, dass sich mindestens drei Lehrer sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben. Kaufmann ist laut FR seit 2007 im Amt.
Kultusministerin Henzler äußerte sich betroffen über den Fall. "Wir werden uns das sehr genau ansehen und unseren Beitrag zur Aufklärung der damaligen Vorgänge leisten", sagte Henzler am Samstag nach Angaben ihres Sprechers. Sie werde auch genau prüfen, ob es beim erstmaligen Bekanntwerden der Vorwürfe Ende der 90er Jahre Versäumnisse der Schulaufsichtsbehörden gegeben habe. Die FR hatte berichtet, eine angekündigte Überprüfung habe nie stattgefunden.
In der Erklärung der Schulleiterin heißt es, ehemalige Schüler seien mit Blick auf das 100. Jubiläum in diesem Jahr erneut zu ihr gekommen, um von ihren Missbrauchserlebnissen in den 1970er und 1980er Jahren zu berichten. "Die Odenwaldschule erkennt den jahrelangen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Pädagogen ihrer Schulgeschichte an und versteht diese traumatische Erfahrung als Teil ihrer Identität." Sie entschuldige sich bei den Opfern.
Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Marcus Bocklet, rief die Schule zur lückenlosen Aufklärung auf. Die private Odenwaldschule in Heppenheim mit gut 200 Schülern ist eine Unesco-Modellschule. Zahlreiche Prominente gehören zu ihren ehemaligen Schülern, darunter der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und Klaus Mann. 2005 kürte das Wirtschaftsmagazin "Capital" die Schule zur besten hessischen Schule mit gymnasialer Oberstufe.