Potsdam Neonazi-Opfer in Lebensgefahr

Der brutale Überfall auf einen Deutsch-Äthiopier in Potsdam ist der neue Höhepunkt rechter Gewalt in Brandenburg - das Opfer schwebt noch immer in Lebensgefahr. Für den Potsdamer Bürgermeister kam der Übergriff "überraschend".

Die Straßenbahnhaltestelle Charlottenhof liegt in einer der tristeren Ecken Potsdams. Hier, an der Zeppelinstraße, wurde am frühen Morgen des Ostersonntags der 37-jährige Wasserbauingenieur, ein Deutscher äthiopischer Herkunft, brutal überfallen und ausgeraubt.

Er liegt seither mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma sowie Verletzungen an Rippen, Brustbein und linkem Auge im künstlichen Koma auf einer Intensivstation. Sein Zustand sei zwar stabil, jedoch weiterhin lebensbedrohlich. Ob er bleibende Schäden behalten wird, könne erst nach Beendigung des Komas gesagt werden.

Täter im rechten Milieu vermutet

Auch wenn die beiden gesuchten Täter bisher unbekannt sind, vermuten Polizei und Staatsanwaltschaft sie in der rechtsextremen Szene. Als "dreckigen Nigger" sollen sie ihr Opfer beschimpft haben - schon die bloße Hautfarbe anderer provoziert einige aus diesen Kreisen zu roher Gewalt. Seit seiner Neugründung 1990 hat Brandenburg mit diesem Problem zu kämpfen. Immer wieder brachten spektakuläre Übergriffe das Land zwischen Elbe und Oder in die Schlagzeilen.

Im November 1990 machen Skinheads in Eberswalde Jagd auf Ausländer, wobei der Angolaner Antonio Amadeo erschlagen wird. Der britische Bauarbeiter Noel Martin verunglückt im Juni 1996 bei einer Verfolgungsjagd durch rechte Jugendliche mit dem Auto und ist seither querschnittgelähmt. Zweieinhalb Jahre später verblutet in Guben der 28-jährige Asylbewerber Farid Guendoul alias Omar Ben Noui aus Algerien nach einer Hetzjagd, die rechte Jugendliche auf ihn gemacht hatten.

97 rechtsextreme Gewalttaten in 2005

In Bernau verletzen Rechtsradikale 1998 einen Mann aus Gambia schwer; wenig später schwebt ein Italiener nach Tritten mit Stahlkappenschuhen in Lebensgefahr. Auch im laufenden Jahr häufen sich schon wieder die fremdenfeindlichen Attacken. So schlugen im März unbekannte Täter in Cottbus auf einen Mazedonier und spanische Studenten ein. Der Mazedonier musste daraufhin operiert werden.

Zuvor hatten Rechtsextremisten in Rheinsberg (Ostprignitz-Ruppin) mehrere Geschäfte von Ausländern demoliert, um die Betreiber aus der ansonsten kulturinteressierten Stadt zu ekeln. Im vergangenen Jahr betrug die Zahl rechtsextremer Gewalttaten nach Angaben des Potsdamer Innenministeriums 97; 108 Menschen aus 16 Herkunftsnationen waren betroffen, davon knapp 68 Prozent mit deutschem Pass. 31 der Übergriffe hatten fremdenfeindliche, acht antisemitische Motive.

Die jüngste fremdenfeindliche Attacke in Potsdam komme "überraschend", sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Immerhin liege die letzte Tat in Potsdam davor mehr als ein Jahr zurück. Jakobs sprach von "einer neuen Qualität der rechtsextremistischen Gewalt". "Dass jemand so brutal an einer Haltestelle zusammengeschlagen wird, dass er um sein Leben fürchten muss, das hatten wir so bislang nicht", sagte er. Auch als Gastgeber für die ukrainische Nationalmannschaft zur Fußball-WM kann Brandenburgs Landeshauptstadt negative Schlagzeilen wie jetzt nicht gebrauchen.

Seit Jahren unternehmen die Regierung und gesellschaftliche Gruppen Anstrengungen, das Übel in den Griff zu bekommen. So gibt es ein Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg", ein Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie einen Landespräventionsrat. Die Polizei wiederum versucht, mit ihrer mobilen Einsatzeinheit "MEGA" durchzugreifen. Der Angriff auf den gebürtigen Äthiopier macht aber deutlich, dass ruhige Zeiten in Brandenburg nur trügerisch sind.

Stimmen werden im Internet veröffentlicht

Um den Tätern auf die Spur zu kommen, will die Potsdamer Polizei nun die Stimmen der zwei Täter veröffentlichen. Der 37-Jährige sei überfallen worden, während er seiner Frau eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hab, sagte ein Polizeisprecher. Bisher habe die Polizei acht Hinweise aus der Bevölkerung erhalten, die sich auf die Personenbeschreibung der Täter richteten, sagte der Sprecher. Sie würden ebenso geprüft wie die Spuren vom Tatort.

An der Straßenbahnhaltestelle hätten die Ermittler Finger- und Schuhabdrücke sowie biologische Spuren wie Hautabreibungen sichergestellt. Sie würden von Experten des Landeskriminalamtes untersucht. Weiter unklar sei, ob es sich bei den beiden Täter um zwei Männer oder möglicherweise ein Pärchen handelte, sagte der Sprecher. Auf dem Band sei eine hohe Stimme zu hören, die einer Frau gehören könne. Der Deutsche war in der Nacht zum Sonntag kurz vor vier Uhr an einer Haltestelle in Potsdam zunächst mit fremdenfeindlichen Äußerungen beschimpft und danach zusammengeschlagen worden.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters

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