Alles ist still. Nichts passiert. Es ist so unwirklich", sagt der Kapitän der "MS Thorbjørn". Vor wenigen Minuten hatte der Kapitän Anders Behring Breivik auf die Insel gebracht, hatte die Munitionskiste Breiviks in ein Auto verladen und sie ein Stück den Weg hochgefahren. Ohne zu wissen, was die Kiste enthält. Von dort muss er mit ansehen, wie Breivik seine Frau Monica Bøsei und den Wachmann Trond Berntsen erschießt.
"Ich weiß nicht mehr, ob ich gesehen habe, wie er meine Monica erschossen hat. Aber ich glaube es", sagte der Kapitän. Seinen Namen nennen die norwegischen Medien, die detailliert aus dem Gerichtssaal berichten, nicht. Er läuft zurück zur Fähre, fährt mit ihr auf den Tyriford-See hinaus. Er hat Angst, es können weitere Terroristen an Land warten. Er habe sich immer wieder gefragt, "ob ich anders hätte handeln können", sagte der Kapitän. Aber er sei immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass "ich so handeln musste". Auf der Fähre wartete er darauf, dass die Polizei anrückte. Er hoffte auf Hubschrauber, Boote - aber nichts passierte.
40 Überlebende werden aussagen
Am elften Tag des Prozesses gegen Breivik sagen im Osloer Amtsgericht erstmals Zeugen aus, die am 22. Juli auf Utøya waren. Hier hatte der 33-jährige Attentäter 69 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Sommerlagers getötet. Bislang war es bei dem Gerichtsverfahren um Breiviks mehrtägige Aussage und um den Bombenanschlag in Oslo gegangen. Die kommenden Wochen werden die Todesopfer auf Utøya verhandelt, mehr als 40 Überlebende werden aussagen.
Ein gefälschter Ausweis und eine Pistole
Als erster Zeuge sagte Simen Brænden Mortensen aus. Der 23-Jährige war im Sommercamp der sozialdemokratischen Arbeiterjugend auf Utøya. Am 22. Juli war er als Wachmann auf der Landseite der Insel eingeteilt. Er war der erste, der mit Breivik sprach. "Er stellte sich vor, sagte, er sei von der Polizei und solle als Routineauftrag die Insel sichern." Breivik wies sich mit einer gefälschten Polizeimarke aus. Brænden Mortensen wunderte sich ein wenig, dass Breivik nicht in einem Polizeiauto kam und zudem bewaffnet war. Brænden Mortensen erklärte sich die Situation damit, dass alle Autos in Oslo im Einsatz waren. Normalerweise tragen Polizisten in Norwegen ihre Waffen nicht sichtbar. Breivik wurde auf die Fähre gelassen, man half ihm, seine schwere Munitionskiste an Bord zu bringen.
Brænden Mortensen blieb an Land, hörte die Schüsse und glaubte erst, dass der Polizist die Waffe überprüfe, vermutete dann, dass der Polizist durchgedreht sei. "Ich dachte, er schießt auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, weil der Anschlag in Oslo von einem Islamisten ausgeführt worden sein sollte." Dabei war es Breivik, der im Osloer Regierungsviertel eine Bombe detonieren hatte lassen.
Breivik ist geständig, bereut sein Verbrechen aber nicht. Der Angeklagte will den Gerichtssaal als Plattform vor allem als politische Plattform nutzen. Als völlig offen gilt, ob er bei dem im Juli erwarteten Urteil für unzurechnungsfähig erklärt wird.
Der Kapitän der "MS Thorbjørn" holte sich an Land Verstärkung durch einen Freund, legte eine schusssichere Weste an und fuhr mit der Fähre zurück nach Utøya. Zu diesem Zeitpunkt ist die Polizei bereits auf der Insel, Breivik gerade festgenommen. Der Kapitän beginnt damit, die Verletzten und Überlebenden an Land zu bringen. Seine erschossene Frau, die eine Art "Herbergsmutter" für die Teilnehmer des Sommerlagers war, liegt noch in der Nähe des Kais. Ihre gemeinsame Tochter hat das Massaker überlebt.