95 Euro Aufnahmegebühr und 16 Euro monatlich. So viel kostet die Mitgliedschaft beim Sterbehilfeverein Dignitate, dem deutschen Ableger der umstrittenen Schweizer Dignitas. Bislang haben die rund 1600 Mitglieder diesen Beitrag gezahlt, um einen Verein zu finanzieren, der eine Neuregelung der Sterbehilferegelung in Deutschland erreichen will. Und um Hilfe bei der Erledigung der Formalitäten zu bekommen, wenn sie in der Schweiz, von Dignitas unterstützt, ihrem Leben ein Ende machen wollen. Rund 120 Deutsche haben dies im vergangenen Jahr getan, fast 60 Prozent aller von Dignitas assistierten Suizide. Zuletzt sorgte der Doppel-Selbstmord auf einem Parkplatz für Aufsehen.
Dignitate will Präzedenzfall schaffen
Doch bald könnte den verzweifelten Menschen der Umweg über die Schweiz erspart bleiben. Denn Dignitate hat nun angekündigt, im kommenden Jahr erstmals in Deutschland einem Menschen beim Freitod helfen zu wollen. Die Empörung ist groß, die CDU spricht von einem ungeheuerlichen Vorgang und fordert das Verbot des Vereins.
Hinter der Aktion steht der Berliner Urologe Uwe Christian Arnold, Vorstandsmitglied von Dignitate. Schon in den ersten Monaten 2008 werde es soweit sein, sagte Arnold stern.de. "Es wird ein assistierter Suizid sein. Der Arzt wird dem Patienten ein Medikament geben und dabei sein, wenn der Patient das Medikament einnimmt." Man habe schon einen Arzt für die Premiere gefunden, berichtete Arnold. Es gebe zudem viele weitere Mediziner, die zu einem solchen Vorhaben bereit seien. Sorgen vor rechtliche Konsequenzen gebe es bei Dignitate nicht. "Wir fürchten keine Strafverfolgung. Denn es ist alles rechtlich erlaubt."
Natrium-Penotbarbital
Rechtliche Probleme könnte ein Mediziner beim assistierten Suizid bekommen, wenn er dabei ein Mittel einsetzt, das in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Das gilt auch für das in der Schweiz von Dignitas benutzte Narkotikum Natrium-Pentobarbital. Dignitate hatte deshalb schon angekündigt, ein anderes Mittel anwenden zu wollen. Natrium-Pentobarbital kam in Deutschland zuerst als Schlafmittel auf den Markt. Das Unternehmen Bayer vertrieb sie ab dem Jahr 1916. In sehr niedriger Dosis wirkt die Substanz beruhigend, in höherer einschläfernd. Eine Überdosis lähmt das Atemzentrum: der Betroffene erstickt im Schlaf. Wie alle Barbiturate ist Natrium-Penotbarbital schon nach kurzer Einnahmezeit suchterzeugend. Die psychische Abhängigkeit macht sich durch Antriebslosigkeit, aber auch durch Tobsuchtsanfälle bemerkbar. In Deutschland ist Natrium-Pentobarbital nicht mehr als Schlafmittel erhältlich. Es wird hierzulande von Veterinärmedizinern zum Einschläfern von Tieren verwendet.
Tatsächlich bewegt sich Dignitate, das mit diesem geplanten Freitod einen juristischen Präzedenzfall schaffen will, in einem rechtlich sehr umstrittenen Raum und fordert die deutsche Justiz heraus. Sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland ist aktive Sterbehilfe, wie etwa die Verabreichung tödlicher Spritzen, verboten. In der Schweiz ist aber der assistierte Suizid erlaubt, also unheilbar kranken Sterbewilligen ein Gift anzubieten, das diese dann selbst trinken - genau die Methode, die Dignitas anwendet. Kritiker in Deutschland sehen dies aber als aktive Sterbehilfe an. Sie drohen mit Strafverfolgung, weshalb die Selbstmordwilligen in die Schweiz flüchten müssen.
Sterbehilfe: Was ist erlaubt, was verboten?
Erlaubt ist:
a) Aktive Beihilfe zum Suizid:
Aktive Beihilfe heißt, der Sterbewillige wendet sich an den Arzt, der ihm eine entsprechende Dosis an Schlafmitteln gibt, die der Patient selber einnimmt.
b) Indirekte Sterbehilfe:
Indirekte Sterbehilfe wird oft bei Krebspatienten angewendet. Der Patient mit starken Schmerzen, bei dem keine Besserung mehr möglich ist und der schon im Sterben liegt, bekommt Schmerzmittel in hoher Dosis verabreicht. Der Arzt weiß, dass der Patient dadurch früher sterben wird. Diese Tat könnte als Totschlag bewertet werden, wird aber als gerechtfertigt angesehen
c) Passive Sterbehilfe:
Passive Sterbehilfe ist die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen bei unheilbar Kranken. Der Patient muss weiter ernährt werden, aber Geräte, wie etwa eine Beatmungsmaschine, dürfen ausgeschaltet werden. Dies darf geschehen, wenn der Sterbeprozess bereits eingesetzt hat aber auch, wenn ein unheilbarer Verlauf diagnostiziert wurde.
Verboten ist:
Aktive Sterbehilfe
, wie etwa die Verabreichung tödlicher Spritzen, ist verboten.
Doch das wäre gar nicht nötig, meint der Augsburger Medizinrechtler Henning Rosenau. "Assistierter Suizid ist auch in Deutschland nicht strafbar", sagte er stern.de. Vorraussetzung dafür sei es, dass der Mediziner den Patienten alleine lässt, sobald er ihm das Gift gereicht hat. Denn: Sobald ein Patient bewusstlos ist, muss der Arzt helfend eingreifen, sonst droht ihm eine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung und bis zu fünf Jahren Haft. "Diese kuriose Situation ist das Resultat der kruden Rechtssprechung des Bundesgerichtshof", kritisiert Rosenau.
Ärztekammer sieht Verstoß gegen Berufsordnung
Dignitate-Vorstand Arnold weiß natürlich um die rechtlichen Voraussetzungen in Deutschland. Deshalb denke man darüber nach, dass der ausführende Arzt nach der Abgabe des Medikaments den Patienten alleine lässt. Um auch berufsrechtlichen Konsequenzen zuvorzukommen, werden wohl nur pensionierte Ärzte beim Freitod helfen, kündigte Arnold an.
Diese Vorsichtsmaßnahmen scheinen angebracht, sieht die Ärztekammer doch schon in der Ankündigung einen klaren Verstoß. "Dieses Verhalten ist vollkommen unakzeptabel. Die Berufsordnung schreibt es Ärzten vor, Leben zu erhalten und nicht aktiv zu verkürzen", sagte ein Sprecher der Berliner Kammer stern.de. Den beteiligten Medizinern könnte demnach ein Berufsrechtsverfahren bevorstehen. Neben Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro drohen ihnen auch die Entziehung der Zulassung.
Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht keine Veranlassung, aufgrund der Ankündigung Ermittlungen einzuleiten. "Die Ankündigung ist grundsätzlich nicht strafbar", sagt Oberstaatsanwalt Michael Grunewald. Auch der Polizei sind die Hände gebunden. "Wir werden nicht versuchen, den Arzt zu ermitteln. Denn es nicht klar, was und wie passieren soll. Zudem ist die Begleitung nicht strafbar", sagte ein Berliner Polizeisprecher. Erst wenn der Ort des assistierten Suizids bekannt ist, könne man versuchen, ihn zu verhindern.
Doch bei Dignitate ist man entschlossen, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Man selber werde die Logistik und den Rechtsbeistand für den Mediziner bereitstellen, sagte Arnold. Die Kosten für den Patienten: Rund 2000 Euro an "Bearbeitungsgebühren". Allerdings strebe sein Verein mit dem Sterben kein Profit an, sagte Arnold. Einen Patienten für den Präzedenzfall gebe es noch nicht, doch genügend Interessenten. "Unser Telefon klingelt ständig."