Die junge Frau spürt scheinbar gleich, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht hat sie die im Schatten wartende Männergestalt tatsächlich gesehen, als sie aus ihrem roten Fiat gestiegen ist, um zu ihrer Wohnung zu gehen. An jenem Freitag, dem 13. März 1964, gegen halb vier früh in Kew Gardens. Einem ruhigen Wohn- und Geschäftsviertel in einem Randbezirk von New York. Sie verharrt kurz, an ihrem Wagen stehend. Dann rennt sie los. So erzählt ihr Mörder es später der Polizei. Wie er es schildert, hat Catherine Genovese nicht, wie gewöhnlich, wenn sie nachts von der Arbeit nach Hause kommt, den direkten Weg zu ihrer Wohnung über dem Polstergeschäft genommen. Die Wohnungseingänge der kombinierten Wohn- und Geschäftshäuser in der Austin Street liegen in einer Hintergasse. Stattdessen ist sie die Straße an der Vorderseite der Häuser entlanggelaufen, an den Eingängen der Geschäfte vorbei. In Richtung Lefferts Boulevard. Der ist breiter als die Austin Street. Hell erleuchtet. Und an seiner Ecke ist eine Bar, das „Old Bailey’s“, die ist für gewöhnlich um diese Zeit noch geöffnet.
Vielleicht hat Catherine „Kitty“ Genovese sich vom Schein der Straßenlaternen auf dem Boulevard oder in der Bar Schutz erhofft. Aber im „Bailey’s“ hat es an diesem Abend eine Schlägerei gegeben. Darum ist sie geschlossen. Bevor Kitty Genovese weiterrennen und den Lefferts Boulevard erreichen kann, holt sie der Mörder ein und sticht zu. So erzählt er es der Polizei. Und im Prozess.
Ihr Mörder, Winston Moseley, ist in dieser Nacht der einzige wahre Augenzeuge. Der Einzige, der mit Gewissheit sagen kann, wie Kitty Genovese starb.