Das Werkstattgespräch "Man muss eine Verbindung zum Verbrecher aufbauen"

  • von Claudio Rizzello
Gianrico Carofiglio
© Jewgeni Roppel
Der italienische Krimiautor Gianrico Carofiglio weiß, worüber er schreibt. Als Staatsanwalt vernahm er Kriminelle und bekam es auch mit der Mafia zu tun

Herr Carofiglio, Sie waren viele Jahre Richter und Staatsanwalt in Bari, beschäftigten sich vor allem mit der Organisierten Kriminalität. So manch einen Verbrecher haben Sie persönlich vernommen. Wie macht man das?
Ich muss mich einfühlen in die Person und ihr das Gefühl geben, dass ich verstehe, was sie getan hat. In einer solchen Gesprächssituation gibt es ein enormes Machtgefälle. Deswegen muss der erste Schritt immer sein, dieses Gefälle auszugleichen, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Nur so wird ein Gespräch wahrscheinlicher.

Man soll mit, sagen wir, einem mutmaßlichen Mörder mitfühlen?
Ja, eine Verbindung aufbauen, ihm vermitteln: Ich verstehe, was passiert ist. Es hätte vielen Menschen passieren können. Aber das heißt nicht, dass ich ein Verbrechen rechtfertigen darf, nur um ein Geständnis zu bekommen. Das wäre ein großer ethischer Fehler. So eine Vernehmung ist eine schwierige Aufgabe. Aber sie hat mir großen Spaß gemacht!

Erschienen in stern Crime 53/2024