Es war eine undankbare Aufgabe für Richter Reinhold Baier. Egal, welches Urteil er sprechen würde, er konnte es nicht allen recht machen. Hätte er Milde gegenüber den beiden U-Bahn-Schlägern von München gezeigt, wäre ein Aufschrei der Empörung durchs Land gegangen. Und nun, da er Serkan A. und Spyridon L. wegen versuchten Mordes mit zwölf (nach Erwachsenenstrafrecht) beziehungsweise achteinhalb Jahren (nach Jugendstrafrecht) Haft bestraft hat, werden manche sagen: Der Richter hat sich dem Druck der Öffentlichkeit - insbesondere des Boulevards - gebeugt. Aber das ist falsch: Denn Baier hat während des Verfahrens mehrfach gezeigt, dass er sich von niemandem beeindrucken lässt. Und vor allem hat Baier das einzig richtige Urteil gefällt. Serkan A. und Spyridon L. haben sich diesen Spruch redlich verdient. Strafrechtlich ist der Fall damit erst mal abgeschlossen, gesellschaftspolitisch noch lange nicht.
Tod billigend in Kauf genommen
Die Attacke auf Bruno Hubert N. war versuchter Mord, es war keine alltägliche Schlägerei. Die beiden jungen Männer haben aus Heimtücke - Angriff von hinten - und aus niederen Beweggründen - Rache für die vorangegangene Zurechtweisung in der U-Bahn - gehandelt. Damit "erfüllt" ihre Tat die Mord-Voraussetzungen. Die erschreckenden Erzählungen des Pensionärs vor Gericht und vor allem die Videoaufnahmen beweisen eindeutig, mit welch grenzenloser Brutalität Spyridon und Serkan vorgegangen sind. Sie haben billigend den Tod des Pensionärs in Kauf genommen - und Pech gehabt, dass sie dabei gefilmt wurden.
Zudem hat das Verfahren keinerlei Anhaltspunkte hervorgebracht, die an der Schuldfähigkeit der beiden Prügel-Kumpane zweifeln lässt. Ja, sie waren angetrunken und standen vielleicht auch unter Drogeneinfluss. Doch keiner der Zeugen inklusive des Opfers hat sie an diesem Tag als volltrunken in Erinnerung. Die Bilder des Überfalls zeigen zudem keine umhertorkelnden Gestalten, sondern zwei überaus beweglich und behände agierende Männer. Serkan und Spyridon sind Alkohol gewohnt und wissen, dass sie benebelt aggressiv werden, Spyridon hat es sogar vor Gericht zugegeben. Einen Großteil der Schuld auf den Alkohol zu schieben ist eine vor Gericht oft vorgebrachte und deshalb unerträgliche Entschuldigungsstrategie, auf die der Richter zum Glück nicht hereingefallen ist.
Auch die Reuebekundungen der beiden Angeklagten haben zu Recht wenig Eindruck beim Richter gemacht. Denn Serkan A. und Spyridon L. sind polizeibekannte Intensivstraftäter. Immer wieder wurde ihnen Hilfe angeboten, immer wieder bekamen sie die Chance, sich zu bewähren. Vergebens. Eine Gefängnisstrafe ist das letzte Mittel des Rechtsstaates gegen Menschen, die bestimmte Regeln einfach nicht akzeptieren wollen. Und Serkan A. und Spyridon L. haben gezeigt, dass sie dies nicht tun. Deshalb muss sich nun zeigen, ob sie die strengste Sprache des Gesetzes verstehen - die jahrelange Inhaftierung.
Täter sind ein deutsches Problem
Serkan A. und Spyridon L. werden die nächsten Jahre also hinter Gittern verbringen und Zeit haben, sich über ihre Tat und ihre Zukunft Gedanken zu machen. Der deutschen Gesellschaft dagegen bleibt keine Zeit, um sich Lösungen für die anderen Serkans und Spyridons da draußen zu machen. Denn mit der wahrscheinlichen Abschiebung der beiden U-Bahn-Schläger bleibt das Problem in Deutschland zurück. Der Grieche Spyridon L. und vor allem der Türke Serkan A. sind keine griechischen oder türkischen Angelegenheiten. Der heute 18-jährige Spyridon hat den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht, der 21-jährige Serkan ist sogar in Deutschland geboren. Sie sind also vor allem ein deutsches Problem, dass sich mit der populären Forderung nach Ausweisung nicht beheben lässt.
Dabei haben die Behörden zumindest bei Serkan A. offenbar alles probiert, er bekam alle erdenklichen Hilfsangebote, von Berufsberatung bis hin zu Anti-Aggressionstraining. Umsonst, ein scheinbar hoffnungsloser Fall. Doch die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft zeigt sich besonders bei den Schwächsten. Und generell ist es oft die Perspektivlosigkeit, die Langeweile, die deutsche und ausländische Jugendliche zu Straftätern macht. Prügel statt Matheunterricht, Diebstahl statt Werkbank.
Statistiken zeigen eindeutig, dass die Straffälligkeit insbesondere von jungen Migranten dort drastisch steigt, wo die Zahl der Schulabgänger sinkt. Der Zugang zu (Aus)-Bildung und Beruf muss also verbessert werden - gerade für ausländische Jugendliche. Da aber viele Eltern, siehe Serkan und Spyridon, mit der Erziehung ihrer Kinder schlicht überfordert sind und ihnen in puncto Gewalt ein denkbar schlechtes Vorbild abgeben, muss diesen sichtbar unfähigen Eltern deshalb schneller die Sorgeberechtigung entzogen werden können. Experten bestätigen, dass durch Gewalt in der Familie das Risiko einer kriminellen Dauerkarriere der Kinder stark steigt.
Strafe muss direkt folgen
Der Jugendgewalt mit einer Haudrauf-Strategie à la Roland Koch zu begegnen wäre allerdings falsch. Forderungen wie etwa ein verschärftes Jugendstrafrecht sind wenig durchdacht. Erstens zeigt das jetzige Urteil, dass es harte Strafen zulässt. Und zweitens zeigt die hohe Rückfallquote bei zu Haft verurteilten Jugendlichen, dass Gefängnis keine abschreckende Wirkung hat. Vielmehr müssen die geltenden Gesetze konsequenter angewendet und vor allem schneller durchgesetzt werden. Die Strafe muss unmittelbar auf die Tat folgen, der Jugendliche die Folgen seines Handelns sofort spüren.
Nur so kann vielleicht verhindert werden, dass Jugendliche wie Spyridon und Serkan abstumpfen und zu solch unbelehrbaren Verbrechern werden, dass Richtern wie Reinhold Baier nichts anderes übrig bleibt, als sie jahrelang ins Gefängnis zu stecken.