Beatrix Scheible, die alle nur Trixi nennen, ist nur noch wenige Meter von ihrem Elternhaus entfernt. Sie verabschiedet sich von ihren Freunden. Gemeinsam hatte die Clique eine Discothek besucht, will noch weiter in eine Kneipe gehen. Doch Trixi, die dunkelhaarige, resolute, wehrhafte und durchsetzungsfähige 16-Jährige, möchte nicht zu spät nach Hause kommen. Sie will die letzten Meter alleine gehen. Eine folgenschwere Entscheidung. Trixi kennt den Weg. Sie ist ihn schon oft gegangen. Ihr Weg führt sie durch das Frankfurter Nordwestzentrum, ein Einkaufszentrum, in dem nachts kaum noch jemand unterwegs ist. Zumindest am 11. Dezember 1981, dem letzten Tag in ihrem Leben. Es ist 23.20 Uhr. Sie trifft auf ihren Mörder Jürgen E., den das Frankfurter Landgericht nun, 25 Jahre nach der Tat, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt hat.
Zeugin meldet sich nach 25 Jahren
Jürgen E. beschließt in der Nacht des 11. Dezember 1981, sich noch einmal auf den Weg zu machen. Er will sich mal wieder einer Frau nackt zeigen, sagt er 25 Jahre später der Polizei und den Richtern am Frankfurter Landgericht. Jürgen E., ein geprügeltes Kind, Schulversager, gewalttätiger Mann, Exhibitionist und Serienvergewaltiger läuft los und sieht Trixi. Sie ist, wie es Staatsanwalt Ronald Morbitzer nennt, genau das Opfer, auf das er aus ist. Staatsanwalt und Richter sind überzeugt: In diesem Augenblick trifft er die Entscheidung: Ich will sie vergewaltigen. Spätestens beim Zusammentreffen weiß er das, sagt heute der Vorsitzende Richter Hans Bachl.
Doch Trixi wehrt sich. Sie hat sich nie etwas gefallen lassen, sagen ihre Eltern und die Freunde vor Gericht. Sie schreit. Ihr Hilferuf bricht ab. Ein 11-jähriges Mädchen, das mit seinen Eltern gerade aus dem Schrebergarten kommt, hört den Schrei. Erst 25 Jahre später, nachdem der Prozess gegen Jürgen E. begonnen hat, wird ihr klar, was sie da gehört hat. Sie meldet sich bei Gericht. Es ist nur ein kleines Indiz mehr, das zur Verurteilung wegen Mordes am Ende führt.
Jürgen E. hält der schreienden Trixi, die längst die Gefahr erkannt hat, den Mund zu, dirigiert sie in die menschenleere und dunkle oberste Ebene. Er will sie vergewaltigen und muss sie dafür loslassen. "Um sie zum Schweigen zu bringen, sticht er ihr mit dem Messer in die Brust", sagt der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung. Und: "Er nahm die tödliche Folge billigend in Kauf." Trixi verliert unmittelbar nach dem Messerstich, der sie im Herzen und ihre Hauptschlagader trifft, das Bewusstsein. Kurz danach ist sie tot.
Sie muss sterben, weil Jürgen E. seinen Geschlechtstrieb befriedigen will. Er entkleidet das Mädchen und vergeht er sich an der 16-Jährigen. Er flüchtet, läuft zur nächsten Telefonzelle und meldet eine Schwerverletzte im Nordwestzentrum. Wo sie liegt, sagt er nicht. Die Polizisten finden Trixi nicht. Erst am nächsten Morgen um 6.20 Uhr entdeckt ein Zeitungsausträger die Leiche. Wochen- und monatelang wird ermittelt. Ergebnislos. Anwohner gründen Bürgerwehren. Die Polizei prüft auch Jürgen E. Doch er hat ein Alibi. Seine Mutter bestätigt es.
DNA-Spuren führen zu Jürgen E.
25 Jahre später - die Methoden der Kriminalistik sind deutlich besser geworden - überführt ihn schließlich ein Schamhaar des Mädchens. Die Polizei hatte die Akten nie ganz geschlossen, das Haar von Trixi immer aufgehoben. Im vergangenen Jahr schließlich hat das hessische Landeskriminalamt eine DNA-Analyse gemacht und männliche Spuren gefunden. Und die führten zu Jürgen E. Auch er gab wie all die anderen, die in dem Verfahren mal eine Rolle gespielt haben, eine Probe ab.
Er wusste nun, dass seine Festnahme bevorsteht. Er schreibt seiner Frau und deren beiden Kindern einen Brief, wirft ihn weg. Später finden ihn die Ermittler. Jürgen E. spricht darin, bei der Polizei und schließlich auch vor Gericht von einem tragischen Unfall. Das Mädchen sei ihm auf einer Treppe entgegengekommen. Er sei erschrocken, habe das Klappmesser, das zufällig noch in seiner Tasche war, gezogen. Sie sei nach hinten gestolpert und nach vorne in sein Messer gefallen. Er habe das schwer verletzte Mädchen dann nach oben getragen, sie halb entkleidet und angefasst, aber nicht vergewaltigt. "Ich habe keinen hochgekriegt", erzählt er.
Drei Gutachter beschäftigen sich noch einmal mit dem Mordfall Trixi, einer rekonstruiert sogar die Tat, so wie Jürgen E. sie schildert. So kann es nicht gewesen sein, sagen sie. Und auch die Richter glauben die Unfallversion nicht. Jürgen E. wird wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. 100 Besucher im Zuhörerraum applaudieren. Der Vorsitzende ermahnt sie. Das ist kein Theater.
Die Eltern von Trixi, die als Nebenkläger mit im Prozess saßen, wischen sich Tränen von den Augen. Sie sind erleichtert. Der Alptraum, sagen sie, geht zwar nie zu Ende, aber der Täter ist verurteilt. Der Verteidiger von Jürgen E. kündigt allerdings Revision an. Das Urteil sei rechtsfehlerhaft.