Vermisster Junge Autismus-Expertin zur Suche nach Arian: "Alles, was seine Aufmerksamkeit wecken kann, ist richtig"

Der sechsjährige Arian
Der sechsjährige Arian. Die Polizei ging davon aus, dass das autistische Kind das Haus selbstständig verließ und leitete eine große Suche ein
© Polizei Rotenburg / DPA
Arian ist sechs Jahre alt, Autist und seit Montag verschwunden. Bei der Suche nach ihm kommen ungewöhnliche Mittel wie Luftballons oder ein Feuerwerk zum Einsatz. Warum ist das so?

Vier Tage und Nächte ist der sechsjährige Arian nun schon im Freien unterwegs. Wie kommt ein Kind mit Autismus in dieser ungewohnten Situation zurecht?
Das wäre für jedes Kind in dem Alter eine große Herausforderung, ob mit Beeinträchtigung oder ohne. Ich kenne Arian nicht persönlich, aber paradoxerweise könnte er sogar besser mit der Situation klarkommen: Kinder im Autismus-Spektrum sind in einer solchen Situation möglicherweise weniger ängstlich, sie nehmen etwa den Wald oder die Dunkelheit als nicht so angsteinflößend wahr oder denken weniger darüber nach, was alles passieren könnte. 

Die Suchmethoden erscheinen ungewöhnlich: Luftballons, Scheinwerfer am Himmel, Kindermusik, ein Feuerwerk. Warum können sie trotzdem Erfolg bringen?
Alles, was Arians Aufmerksamkeit wecken kann, ist richtig. Seine Familienmitglieder sind da die Experten, weil sie ihn am besten kennen. Wichtig ist, dass ansprechende Reize eingesetzt werden. Wenn das für Arian eben Luftballons, Süßigkeiten und Scheinwerfer sind, sind diese Methoden besser als vermeintlich "normale" Ansprachen wie etwa das Rufen seines Namens.

Ebenfalls abgespielt werden Tonbandaufnahmen mit den Stimmen von Arians Bruder und seiner Mutter. Der Bruder fordert den Jungen auf, zu ihm zukommen, um mit ihm zu spielen. Die Mutter gibt ihm die Erlaubnis, zu den Suchenden zu gehen. Wieso hat man sich dafür entschieden?
Ihm vertraute Stimmen mit nicht zu vielen Informationen halte ich für genau den richtigen Weg, Arians Aufmerksamkeit zu wecken und aus einem möglichen Versteck zu locken.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Suchenden?
Kinder im Autismus-Spektrum sind häufig noch schwieriger einzuschätzen als andere Kinder. So kann wohl niemand von den Suchenden sagen, mit wie viel Ausdauer der Junge sich verstecken kann. Lautes Rufen dürfte ihn eher abschrecken.

Janine Thale

schreibt den Familienratgeber Autismus-Spektrum.com und leitet beim Caritas-Verein Altenoythe e.V. eine Einrichtung für 35 Kinder mit Autismus.

Nehmen Kinder wie Arian überhaupt Kontakt zu Fremden auf?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Kinder im Autismus-Spektrum nehmen eher keinen Kontakt zu Fremden auf. Andere wirken dagegen eher distanzlos und unterscheiden kaum zwischen bekannten und unbekannten Personen, wenn sie Hilfe benötigen.

Wie würde Arian wohl reagieren, wenn er plötzlich einer Gruppe Fremder gegenübersteht?
Auch da ist eine pauschale Antwort schwierig, ohne Arian zu kennen. Viele Menschen im Autismus-Spektrum leben in ihrer eigenen Welt und nehmen Dinge anders wahr. Eine Gruppe Menschen macht vielen eher Angst. Ich würde dazu raten, dass sich nur eine Einzelperson dem Jungen nähert, ihm auf Augenhöhe begegnet, Berührung vermeidet und nur wenige Worte spricht.

Wie groß ist Ihre Hoffnung auf ein glückliches Ende der Suche nach Arian?
Ich hoffe sehr, dass Arian gesund gefunden wird. Seine Autismus-Diagnose könnte ihm in dieser Lage sogar helfen: Er nimmt wahrscheinlich Ängste, Hunger und Kälte weniger wahr.

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