Very british Katholischer Pater agierte als Bombenleger

Fast 38 Jahre nachdem bei drei Bombenanschlägen in Nordirland neun Menschen starben, macht der Bericht des Polizeiombudsmann ein Gerücht zur Gewissheit: Der katholische Pater James Chesney organisierte den Terror. Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen.

Die 8-jährige Kathryn Eakin putzte gerade die Schaufenster des kleinen Supermarktes ihrer Familie im Dorf Claudy bei Londonderry, als ein Mann aus einem Auto ausstieg an diesem 31. Juli 1972. Die Mutter sah, wie er sich auf der Dorfstraße entfernte. Er musste das Kind gesehen haben, wie auch die anderen Menschen, die 52-jährige Krankenschwester, die gerade ihr Auto auftankte, den 39-jährigen Vater von sieben Kindern, der eine Zeitung kaufte, die 52-jährige Einzelhändlerin, die in ihrem Laden mit Kunden sprach.

Er sagte kein Wort, sondern verschwand. Kurz danach explodierte die erste von drei Bomben und tötete Kathryn und weitere fünf Menschen. Eine zweite Bombe wurde von der Polizei kurze Zeit später entdeckt. Sie brachte die Menschen im Dorf in Richtung des Hotels Beaufont, vermeintlich in Sicherheit. Dort sprengte eine dritte Bombe drei weitere Menschen in den Tod. Zwei der Opfer waren gekommen, um den Verletzten der ersten Bombe zu helfen. Der 16-jährige William hatte sich verletzt retten können. Er starb im Schrapnell-Hagel vor dem Hotel.

Es gab kein Bekennerschreiben für dieses Verbrechen, die Opfer waren Protestanten und Katholiken. Und niemand wurde jemals angeklagt. Aber es gab hartnäckige Gerüchte. Und die drehten sich alle um den dunkelhaarigen, charismatischen Pater aus einer Nachbargemeinde des County Londonderry, den Priester James Chesney.

492 Menschen starben 1972

Auffällig häufig wurden seine Gemeindefeste und Spendenbüchsen ausgeraubt, immer schienen Maskierte zu wissen, wo es wieder Geld zu holen gab. Es gab nicht wenige, die glaubten, der Pater selber habe da seine Finger im Spiel gehabt. Seit dem Januar diesen Jahres 1972 war Chesney ein glühender Anhänger der Republikaner in Nordirland, er wollte eine Vereinigung mit Irland. Das war auch das Ziel der IRA.

1972 war das blutigste Jahr des katholisch-protestantischen Terrors, der in Großbritannien bis heute "Troubles" genannt wird. Als habe es damals nur ein bisschen Ärger gegeben in Nordirland. Allein 1972 starben 496 Menschen in den "Troubles", die Hälfte davon Zivilisten. Das Jahr begann im Januar mit dem Bloody Sunday, dem blutigen Sonntag, an dem englische Paratrooper auf eine Demonstration in Belfast schossen, auf flüchtende, verletzte Menschen. 13 starben. Erst in diesem Sommer wurde der Abschlussbericht einer Untersuchungskommission veröffentlicht. Premierminister David Cameron entschuldigte sich im Parlament bei den Opfern.

Die Familien der Opfer im Dorf Claudy hatten sich von der Untersuchung um den Tod ihrer Angehörigen auch eine Aufarbeitung erhofft. Es war nicht anzunehmen, dass die Täter ausfindig gemacht werden - nachdem die Bloody-Sunday-Untersuchung zwölf Jahre gedauert und weit über 200 Millionen Euro gekostet hatte, wird die britische Regierung eine zweite solche Unternehmung wohl kaum mehr in Auftrag geben.

Polizei hat den Täter nie vernommen

Was der Bericht des Ombudsmanns Al Hutchinson jetzt zeigt, ist fast ebenso ungeheuerlich: Die nordirische Polizei, die katholische Kirche und der Nord-Irland-Sekretär der Regierung Thatcher wussten, dass Pater James Chesney einer der Organisatoren des Anschlags, wenn nicht sogar der Kopf der Terror-Fraktion South Derry war.

In seinem Auto wurden Sprengstoffrückstände gefunden. Polizeibeamte waren kurz davor, ihn wenige Wochen nach dem Anschlag zu verhaften. Doch dann kam es zu einem Treffen zwischen katholischer Kirche, Polizei und William Whitelaw, dem Nord-Irland Sekretär. Und es wurde entschieden, den Pater über die Grenze nach Irland zu schicken. Er wurde von einem Bischof befragt und bestritt energisch, irgendetwas mit der IRA zu tun zu haben. Die Polizei hat mit ihm niemals gesprochen.

Chesney hat die Tat gestanden

Chesney starb 1980. Er soll sich vorher bei einem Kollegen das Gewissen erleichtert haben mit einem Geständnis. Sie hätten damals vor den Bomben warnen wollen – aber kein funktionierendes Telefon gefunden. In seinem Bericht schreibt der Ombudsmann. "Ich habe bedacht, dass 1972 das schlimmste Jahr der Troubles, war und die Verhaftung eines katholischen Priesters die Sicherheitssituation erheblich schwieriger gemacht hätte." Aber, so führt er weiter fort: "Die Opfer dieses Anschlags sind von den Verantwortlichen im Stich gelassen worden." Von denen lebt inzwischen niemand mehr.

Kardinal Brady von der katholischen Kirche in Irland, einer der Nachfolger des Bischofs, der damals Chesney über die Grenze nach Irland verschickte, sagt, die Kirche sei in keine Verschleierung involviert gewesen: "Was Kardinal Conway damals getan hat, verhinderte keine spätere Verhaftung oder Befragung von Pater Chesney." Der Pater sei mehrfach wieder über die Grenze nach Nordirland eingereist, aber dabei niemals von der nordirischen Polizei verhaftet worden.

Wie die von den Angehörigen gewünschte Entschuldigung hört sich das nicht an.

Von Cornelia Fuchs, London

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