Schon am Tag vor der geplanten Gründungsversammlung der neuen Jugendorganisation der AfD im hessischen Gießen liegt etwas in der Luft – und das sogar buchstäblich: Mit Drohnen überwacht die Polizei das Gebiet rund um die Messe, "für Übersichtsaufnahmen und den Schutz des Luftraums", wie das Polizeipräsidium Mittelhessen mitteilt.
Unten am Boden sind bereits die ersten Protestveranstaltungen im Gange. "Die Lage ist aktuell sehr ruhig", sagt ein Polizeisprecher am Freitagnachmittag zur Nachrichtenagentur DPA. Ob das auch am Wochenende so bleibt? Für den Samstag kündigen die Organisatoren vom Bündnis "Widersetzen" an, Gießen werde "die größte antifaschistische Mobilisierung erleben, die es in Deutschland je gab".
50.000 Demonstranten in Gießen erwartet
Rund 30 Organisationen haben Kundengebungen und Demonstrationen angemeldet, mit zusammen rund 50.000 erwarteten Teilnehmern. "Wir werden diese rechtsextreme Gründung verhindern. Dieses rechtsextreme Kadertreffen in Gießen darf nicht stattfinden", fordert eine der Organisatorinnen im Vorfeld zu Blockaden auf. In linken Internetforen kursieren derweil Gewaltaufrufe und Karten zur Koordination der geplanten Proteste und Blockaden.
Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) zeigt sich im Vorfeld besorgt, dass die Protestler auch Gesetze übertreten oder gar Gewalt ausüben könnten. "Widersetzen" bewege sich "in einer hochproblematischen rechtlichen Parallelwelt, wenn es sich und seinen Unterstützern ein Recht zur Verhinderung der AfD-Veranstaltung zuspricht". Proteste gegen die Gründung der AfD-Nachwuchsorganisationen bezeichnet er als "persönlich nachvollziehbar", dennoch kündigt er ein konsequentes Vorgehen der Polizei ein, um das Recht der AfD-Jugend auf ihre Versammlung durchzusetzen (lesen Sie zum Thema auch: "Jung, glatt, radikal: Die nächste Generation der AfD").
Dafür fährt die Polizei weit mehr als nur ein paar Drohnen in Gießen auf, die 95.000-Einwohner-Stadt 50 Kilometer nördlich von Frankfurt kann sich auf einen Ausnahmezustand einstellen. Gießen dürfte den größten Polizeieinsatz seiner Geschichte erleben, mit erheblichen Auswirkungen: Bereits am Freitag vor der Gründungsversammlung war die Präsenzpflicht für Schulen im Innenstadtbereich ausgesetzt, das Stadttheater hat seine Vorstellungen am Samstag abgesagt, der Busverkehr wird teilweise eingestellt, viele Straßen sind für Autos gesperrt, einige Geschäfte schließen – der Weihnachtsmarkt dagegen soll wie geplant öffnen.
Polizei will AfD-Veranstaltung sichern
"An dem Sicherheitskonzept für dieses Wochenende arbeiten viele Fachleute vor allem der Polizei intensiv mit der Stadt zusammen", heißt es aus dem Rathaus. "Verschiedene Situationen und mögliche Szenarien werden durchgesprochen, um vorbereitet zu sein."
Auch die Polizei gibt an, dieses Wochenende seit Wochen zu planen. Die genaue Zahl der eingesetzten Beamten teilt sie nicht mit, sie dürfte im mittleren vierstelligen Bereich liegen. Zur Unterstützung hat Hessen Polizisten aus 14 Bundesländern und von der Bundespolizei angefordert. Auch der Verfassungsschutz sowie das Landes- und das Bundeskriminalamt sind eingebunden. Von einer "herausfordernden Großlage" spricht der Innenminister.
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Für sie wird alles erdenkliche Gerät in Gießen vorgehalten: Hubschrauber, Wasserwerfer, Panzerwagen, Unimogs, Boote. Dazu Pferde, Hunde, Spezialeinheiten. Man bereite sich "auf jede Einsatzlage bestmöglich vor", erklärt die Polizei im Vorfeld vielsagend. Auch der Katastrophenschutz in der Region sei vorbereitet.
"Unfriedlicher Protest widerspricht unseren demokratischen Werten, gefährdet Menschenleben und schadet unserer Gesellschaft sowie der Demokratie", sagt Mittelhessens Polizeipräsident Torsten Krückemeier. "Wer zu Gewalt greift, verlässt den Boden unserer gemeinsamen Wertebasis, missachtet das Grundgesetz und gefährdet somit uns alle." Die Polizei wolle die Sicherheit aller gewährleisten.
Nichtsdestotrotz kündigt "Widersetzen" an, am Ziel, die Veranstaltung des AfD-Nachwuchses zu verhindern, festzuhalten. Man werde in der Kälte mit den Körpern Seite an Seite den Weg zur Halle versperren.
Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) hat etwas anderes vor Augen: Sein größter Wunsch sei, dass das Wochenende in die Geschichtsbücher seiner Stadt eingehe als die "größte Demonstration für Toleranz, für Freiheit und für die Werte der Demokratie" – und zwar friedlich.
Quellen: Polizeipräsidium Mittelhessen (1), Polizeipräsidium Mittelhessen (2), Stadt Gießen, "Widersetzen", Nachrichtenagentur DPA