Ägypten Es trifft immer die Armen

Schiffsunglücke, Hauseinstürze, schwere Unfälle: Bei Katastrophen in Ägypten zahlen meist die Armen den Blutzoll. Die wahren Schuldigen werden oft nicht zur Rechenschaft gezogen.

Katastrophen sind für die mehr als 70 Millionen Ägypter bitterer Alltag. Und auch, dass die Rettungsmaßnahmen nach einem Unglück erst einmal schleppend anlaufen, ist für die Menschen am Nil nichts Neues.

Im vergangenen Herbst demonstrierten Künstler und Intellektuelle in Kairo mehrere Wochen lang, nachdem mehr als 40 Theatergänger bei einem Brand in einem nicht gegen Feuer gesicherten Theater in Beni Sueif ums Leben gekommen waren. Doch meist treffen die großen Desaster in dem arabischen Land nicht das Bürgertum oder die intellektuelle Elite, sondern, wie auch jetzt bei dem Fährunglück im Roten Meer, die große Mehrheit der Ägypter mit geringem Einkommen.

Mehr Passagiere als erlaubt

Denn sie sind es, die Züge der dritten Klasse mit vergitterten Fenstern benutzen, wie den Zug, in dem 2002 in Al-Ajat mehr als 360 Menschen verbrannten. Sie reisen mit alten Fähren wie der "Al Salam Boccaccio 98", die oft mehr Passagiere an Bord haben als erlaubt. Sie wohnen oft in baufälligen Häusern, die eigentlich längst abgerissen werden müssten. Die Fähre, die auf ihrem Weg von Saudi-Arabien nach Safaga sank, hatte vor allem Männer aus den ländlichen Regionen von Oberägypten an Bord, die bei den wohlhabenden Golfarabern ihren Lebensunterhalt verdienen und oft in der Heimat noch eine Großfamilie miternähren.

Die Gründe für die ägyptische Misere sind vielfältig. Überbevölkerung, mangelhafte Infrastruktur, Korruption und schlampige Kontrollen gehören sicher dazu.

Regierung muss Krise in den Griff bekommen

Manchmal muss nach einem Unglück ein Minister seinen Sessel räumen. In anderen Fällen sind es Beamte aus den unteren Rängen. Doch oft bleibt bei den Ägyptern der Eindruck zurück, dass die wahren Schuldigen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. So sprach ein Kairoer Strafgericht sieben Monate nach dem Zugunglück von Al-Ajat elf Beamte der staatlichen Eisenbahngesellschaft mit der Begründung frei, die einfachen Arbeiter sollten nicht als Sündenböcke herhalten. Die wahrhaft Schuldigen seien in den oberen Etagen der Bahngesellschaft und bei der Transportpolizei zu suchen.

Der ägyptische Parlamentspräsident Fathi Surur berief am Freitag, nachdem die Nachricht von dem Fährunglück bekannt geworden war, eine Eilsitzung des Transport-Ausschusses des Parlaments ein. In Safaga schuf man eine Anlaufstelle für die Angehörigen der vermissten Passagiere.

Beobachter in Kairo warnten jedoch am Freitag, dass sich die Regierung bei dieser neuen Katastrophe anstrengen müsse, um die Lage in den Griff zu bekommen. Ansonsten könnte die mit 88 Abgeordneten im Parlament vertretene Muslimbruderschaft aus der Krise Kapital schlagen, so wie damals 1992 nach dem großen Erdbeben in Kairo, als die Muslimbrüder die ersten gewesen waren, die sich um die obdachlos gewordenen Menschen kümmerten.

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Anne-Beatrice Clasmann/DPA

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