Tausende Menschen finden sich an jenem Tag im Skigebiet ein. Es ist der erste Tag der Wintersaison. Kaprun in Österreich ist bekannt durch den riesigen Gletscher Kitzsteinhorn. Sogar im Sommer kann man hier Ski fahren. Die Gäste werden mit einer modernen Bergbahn rund 1500 Meter durch einen massiven Fels fast bis zum Gipfel gefahren. Neun Minuten – so lange braucht die Schnellbahn, um die Strecke von 3,8 Kilometern zurückzulegen.
Es ist 8.57 Uhr, als sich 162 Passagiere in den Zug drängen. Die Bahn überfährt zunächst eine 600 Meter tiefe Schlucht, anschließend steuert sie in einen steilen Tunnel. Die Bahn wird von einem Elektromotor von der Bergstation aus gezogen, gehalten wird sie dabei von einem Seil. Insgesamt gibt es zwei Züge, die einander ausbalancieren. Während einer hochfährt, rollt der andere hinunter. Beide Züge bestehen aus jeweils zwei Waggons, in denen sich je acht getrennte Abteile befinden. In einen Zug passen bis zu 180 Passagiere. Einen Fahrer gibt es nicht, nur ein Zugbegleiter ist an Bord, der die Türen bedient.
Die Passagiere sind in der Gletscherbahn eingeschlossen
Etwa 20 Meter nach der Talstation breitet sich im hinteren Zugteil in der abgetrennten Zugbegleiter-Kabine Rauch aus, der sich im Tunnel verstärkt. Rauchmelder gibt es nicht. In ihrer Panik versuchen einige Passagiere, über ihre Handys Hilfe zu holen, andere schlagen mit Fäusten gegen die Zugwand. Die Passagiere sind im Zug gefangen. Nach 600 Meter Fahrt im Tunnel bleibt der Zug plötzlich stehen, Flammen schlagen aus der hinteren Kabine. Der Kontrollraum kontaktiert den Zugbegleiter, um nach dem Grund für den Stopp zu fragen. Doch er hat keine Antwort darauf, da er von der sich anbahnenden Katastrophe nichts mitbekommt.
Immer mehr macht sich giftiger Rauch in dem Zug breit. In Panik versuchen einige Passagiere, die Fenster aus stoßfestem Plexiglas mit ihren Skistöcken einzuschlagen. Doch das dauert. Die Flammen schlagen aus der hinteren leeren Kabine in das Abteil. Erst jetzt wird auch der Zugbegleiter in der vorderen Kabine auf das Feuer aufmerksam. Er alarmiert den Kontrollraum und erhält die Anweisung, die Türen zu öffnen. Dann bricht der Funkverkehr ab. Derweil gelingt es zwölf Passagieren, aus den inzwischen kaputten Fenstern zu fliehen.
Feuer in der Gletscherbahn
Fast 600 Meter müssen sie über eine Notstiege nach unten laufen – in klobigen Skistiefeln und völliger Dunkelheit. Die Entscheidung, nicht nach oben, sondern nach unten und an dem Feuer vorbeizulaufen, rettete ihnen vermutlich das Leben. Denn der steile Tunnel wirkt wie ein Kamin, sodass selbst oben auf der Bergstation noch Menschen durch eine Rauchvergiftung sterben. Die wenigen Überlebenden erzählen später, sie hätten noch lange vor dem Eingang gewartet, doch nach ihnen sei niemand mehr gekommen.
Um 9.20 Uhr erreichen die Rettungskräfte den Tunnel. Insgesamt sind 500 Feuerwehrleute, 22 Hubschrauber und 100 Rettungswagen im Einsatz. Doch die Feuerwehr kann den Eingang des Tunnels nur zu Fuß über die Gleise erreichen. Als sie ankommen, steht der Zug lichterloh in Flammen. Das Zugseil könnte bei der extremen Hitze jeden Moment reißen und die brennende, fast 40 Tonnen schwere Bergbahn würde die Rettungskräfte überfahren und in die Talstation rasen. Um 9.35 Uhr brechen sie den Einsatz ab und lassen die Talstation so schnell wie möglich evakuieren.
Auch aus der Bergstation in Kaprun dringt giftiger Rauch
Auch aus der Bergstation kommt jetzt ein Notruf. Dort durchdringt Rauch das gesamte Gebäude und die gesamte Stromversorgung bricht zusammen. Auf dem gesamten Berg fällt der Strom aus. Menschen versuchen, über den Notausgang zu fliehen. Weil sich die Türen automatisch bei Stromausfall öffnen, breitet sich der Rauch nun auch im Einkaufszentrum auf der Bergstation aus. Die Angestellten leiten eine Evakuierung der Geschäfte ein. Für drei Menschen kommt jedoch jede Hilfe zu spät. In dem anderen Zug, den die Feuerwehrleute später im Tunnel finden, sterben der Zugbegleiter und ein Passagier. Der Feuerzug brennt indes vollständig aus. Keiner der darin noch befindlichen 150 Menschen hat überlebt. Die meisten Leichen sind bis zu Unkenntlichkeit verbrannt, sie können nur durch einen DNA-Abgleich identifiziert werden.
Insgesamt verlieren an diesem Tag 155 Menschen ihr Leben, darunter 37 Deutsche. Das jüngste Opfer, ein Kind einer US-Familie, ist fünf Jahre alt. Auch die deutsche Freestyle-Skiläuferin und Olympiateilnehmerin Sandra Schmitt ist unter den Opfern. Gutachter kommen später zu dem Schluss, dass ein defekter Heizlüfter, der lediglich für den Hausgebrauch konzipiert war, im Führerhaus den Brand auslöste. Dabei habe sich Hydrauliköl entzündet, das nahe dem Ofen in vermutlich undicht gewordenen Leitungen floss. Durch die Kaminwirkung in dem Stollen, in dem die Bahn durch den Berg auf das Gletscherskigebiet am Kitzsteinhorn fuhr, breiteten sich die Flammen dann rasend schnell aus.
2004 werden Bahnbetreibern und Technikern der Prozess gemacht, die für fehlerhafte Ein- und Umbauten in der Gletscherbahn verantwortlich gewesen sein sollen. Für alle 16 Angeklagten endet er mit Freisprüchen – zum Entsetzen der Angehörigen. Die Unglücksbahn wird später durch eine neue, überirdische Umlaufseilbahn ersetzt.
Auch 25 Jahre nach der Katastrophe hofft Opfer-Anwalt Gerhard Podovsovnik, der die Hinterbliebenen von etwa 100 Opfern sowie 10 Überlebende vertritt, noch immer auf ein zivilrechtliches Verfahren in den Vereinigten Staaten. Die Frist für eine US-Klage endet 2030. Aus Sicht des Juristen wurde bei dem Prozess zu Unrecht der Fokus auf technische Fehler des Heizlüfters gelegt, statt auf die Verantwortung der Angeklagten. Trotz der Freisprüche wurde den Opfer-Familien im Rahmen eines juristischen Vergleichs insgesamt 13,9 Millionen Euro vom Seilbahnbetreiber, einer Versicherung und dem Staat Österreich zugesprochen. "Das war ein lächerlicher Vergleich", sagt Podovsovnik über diese Summe. In den USA sei Schadenersatz in mehrfacher Höhe möglich. Die von ihm vertretenen Familien wären bei einer US-Klage "sofort dabei", meint er.
In Kaprun im Bundesland Salzburg steht am 25. Jahrestag des Brandes das Gedenken an die Toten im Vordergrund. "Das Unglück prägt unsere Gemeinde bis heute – es ist Teil der Geschichte von Kaprun und wird es wohl auch bleiben", sagt der Bürgermeister von Kaprun, Domenik David, der dpa. Wie an jedem 11. November werde ein ökumenischer Gottesdienst abgehalten. In den vergangenen Jahren hätten auch regelmäßig Opfer-Angehörige aus Deutschland teilgenommen.
Quellen: National Geographic, DPA, BR24