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Heute vor 25 Jahren Kampfjet durchtrennte Kabel: Das tödliche Seilbahn-Unglück von Cavalese

Zwei Fotos zeigen die intakte Gondel und links die Trümmer nach dem Unglück in Cavalese
Bei dem Seilbahn-Unglück von Cavalese hatte ein Militärjet in einem Skigebiet bei Trient im Tiefflug das Stahlkabel einer Seilbahn durchtrennt. Die Gondel stürzte rund 100 Meter in die Tiefe. Alle 20 Insassen, darunter mehrere Deutsche, waren auf der Stelle tot.
© stern-Kombo epa Ansa Farinacci/epa Ansa Panato/picture-alliance
Am 3. Februar 1998 durchtrennte ein US-Militärjet in einem norditalienischen Skigebiet bei Trient ein Seilbahnkabel. 20 Gondelinsassen wurden in den Tod gerissen. Darunter auch mehrere Deutsche.

Es ist ein strahlend schöner sonniger Dienstag, als sich an jenem 3. Februar im Jahr 1998 die Touristen auf den Pisten des italienischen Gebirgsstädtchen Cavalese tummeln. Die Skibedingungen sind perfekt.

Mit der Cermisbahn, einer Luftseilbahn, gelangen die Skigäste auf die Alpe Cermis, ein rund 2200 Meter hoher Berg in den Fleimstaler Alpen. Die Seilbahn operiert mit zwei Gondeln. Um kurz nach 15 Uhr steigen in die eine rund 20 Passagiere ein, unter ihnen eine Skigruppe aus Burgstädt bei Chemnitz in Sachsen. In der zweiten Gondel sitzt indes nur der Fahrer, der sich auf die Rückfahrt vorbereitet. Kurz zuvor war auch ein US-Kampfjet mit vier Personen an Bord zu einem Trainingsflug von dem nahegelegenen Nato-Stützpunkt Aviano gestartet.

Um 15.13 Uhr, die Gondel befindet sich gerade rund 110 Meter über dem Tal, kommt es zur Katastrophe: Die Maschine vom Typ EA-6B "Prowler" durchtrennt im Tiefflug mit mehr als 870 Kilometern pro Stunde das sechs Zentimeter dicke Drahtseil mit der rechten Tragfläche. Ungebremst rast die Gondel in Richtung Boden und bohrt sich in den harten, schneebedecken Boden.

Retter müssen Opfer aus Gondel schweißen

Als die Feuerwehr an der Unglücksstelle eintrifft, bietet sich den Einsatzkräften ein grauenvoller Anblick. Die Gondel gleicht einem Auto unter einer Schrottpresse. Nur mit Schweißgeräten gelingt es ihnen, die Leichen von elf Männern und neun Frauen nach stundenlanger Arbeit zu bergen. Die andere Gondel hängt nach dem Absturz der anderen Kabine noch rund eine Stunde lang in der Luft. Der Gondelführer kann zwar lebend geborgen werden, erleidet aber schwere psychische Störungen.

Indes hat die Crew des Kampfflugzeugs keine Ahnung, womit sie da gerade zusammengestoßen ist. Da die Hydraulik nicht mehr funktionsfähig ist und sie Treibstoff verlieren, melden sie den Notstand und leiten eine Notlandung ein. Schließlich schaffen sie es noch zurück zum Luftwaffenstützpunkt Aviano. Dort überbringt ihnen der befehlshabende Offizier die traurige Nachricht.

Gondelunglück in Cavalese kostet 20 Menschen das Leben

Alle 20 Menschen an der Bord der Gondel sind tot: acht Deutsche, fünf Belgier, drei Italiener, zwei Polen, ein Österreicher und ein Niederländer. Das älteste Opfer ist 61 Jahre alt, das jüngste 13. In den Zeitungen erscheinen schwerwiegende Vorwürfe. Der Verdacht geht herum, dass die Crew fahrlässig handelte. Auch flogen sie offenbar mit einer Videokamera an Bord, doch Ermittler finden darin nur ein leeres Band. Wurden hier wertvolle Beweise vernichtet?

Die Seilbahn im Skigebiet Cermis bei Cavalese in den italienischen Dolomiten
Die Seilbahn im Skigebiet Cermis bei Cavalese in den italienischen Dolomiten 
© epa Ansa Panato / Picture Alliance

Unter den Anwohnern macht sich indes die Wut über das Verhalten der Piloten breit. In der Umgebung des amerikanischen Fliegerhorstes Aviano, von wo aus die Crew zu dem Unglücksflug gestartet war, werden zahlreiche Autos mit amerikanischen Kennzeichen beschädigt. Zeitungen berichten zudem über Morddrohungen beim Fliegerhorst sowie bei amerikanischen Familien.

Pilot und Navigator wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

Rund ein Jahr nach dem Vorfall werden die vier Marinesoldaten in den USA vor ein Militärgericht gestellt. Jedoch nur der 33-jährige Pilot Richard Ashby und sein Navigator müssen sich wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung verantworten.

Wie sich herausstellt, wurde dem Flugdatenschreiber zufolge die vorgeschriebene Mindesthöhe von 300 Metern mehr als einmal unterschritten. Außerdem soll Ashby schneller als die erlaubten 830 Kilometer pro Stunde geflogen sein. Er behauptete jedoch, dass das Radarhöhenmesser im Flugzeug keine Warnung gegeben hätte.

Polizeibeamte inspizieren zwei Tage nach dem Unfall die Unglücksstelle in Cavalese
Polizeibeamte inspizieren zwei Tage nach dem Unfall die Unglücksstelle in Cavalese
© epa Ansa Farinacci/ / Picture Alliance

Doch es kommen noch weitere Details ans Licht. So wurden die Crews offenbar nicht ordnungsgemäß über die Richtlinien des Tiefflugs informiert. Kurz vor dem Flug war die vorgeschriebenen Mindesthöhe auf 610 Meter erhöht worden. Doch bis auf einen hatte von den befragten Piloten der Fliegerstaffel noch niemand von dieser Regelung gehört. Zudem waren die Seilbahnen nicht in den Karten eingetragen, an denen sich die Piloten bei ihren Tiefflügen orientierten. Ein Umstand, über den man sich bei der amerikanischen Kartographiebehörde überrascht zeigte. Wie sich herausstellte, waren die Informationen über die Seile aus der Datenbank gelöscht worden.

Prozess endet mit Freispruch

Ein Experte für räumliche Orientierung stellt in dem Prozess zudem die Vermutung an, dass sich der Pilot aufgrund des Tiefflugs nicht am Horizont, sondern am Ende des Tals als Bezugspunkt orientiert hat. Da dieses in seinem Wahrnehmungsfeld immer weiter sank, ging er instinktiv in den Sinkflug und runter auf 160 Meter. Möglicherweise wurde ihm dies wegen eines Aussetzers des Radarhöhenmessers nicht angezeigt. Als dann plötzlich das Seil vor ihm auftauchte, unterlag Ashby dem Experten zufolge einer optischen Täuschung und nahm an, es würde sich über ihm befinden, weshalb er den Steuerknüppel schnell nach vorn schob. Die Maschine neigte sich dadurch automatisch schräg nach links unten und durchtrennte mit der rechten Tragfläche das Drahtseil.

Rettungsmannschaften stehen an der Seilbahn-Unglücksstelle in Cavalese
Rettungsmannschaften stehen an der Unglücksstelle in Cavalese in den italienischen Dolomiten, wo die Seilbahngondel abgestürzt war
© epa Ansa Panato / Picture Alliance

Die Geschworenen erklärten den Piloten und seinen Navigator am 4. März 1999 schließlich in allen Anklagepunkten für nicht schuldig. Jedoch wird er zwei Monate später in einem zweiten Prozess wegen Behinderung der Ermittlungen zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt und zusammen mit dem Navigator unehrenhaft aus der Armee entlassen. Wie sich herausstellte, hatten die Männer die Videokassette aus der Kamera genommen und gegen eine neue ausgetauscht. Der Navigator hatte sich die Kassette später von Ashby geben lassen und verbrannt. Angeblich, weil er darauf ausgelassen und lachend zu sehen war und er nicht gewollt habe, dass sein fröhliches Gesicht neben den Bildern von Blut im Schnee in der Presse veröffentlicht wird.

Am Rande einer Lichtung in einem Bergwald stehen Rettungskräfte in neongrünen Helmen und Jacken vor den Trümmern einer Gondel

Die Familien der Opfer erhalten zwei Jahre nach dem Seilbahnunglück je 3,8 Millionen D-Mark Entschädigung. Die USA müssen gemäß eines Nato-Abkommens 75 Prozent der Entschädigungssumme zurückerstatten. Es war die höchste je in Italien gezahlte Entschädigung. Auf dem Friedhof von Cavalese erinnern Gedenksteine an die Opfer.

Quellen:   National Geographic, DPA, Untersuchungsbericht d. ital. Abgeordnetenkammer

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