Verzweifelt kämpfen die Menschen in Chiles Katastrophengebieten gegen das Chaos an. Nicht nur das gewaltige Erdbeben und die gigantischen Flutwellen hinterließen Tod und Verwüstung - auch die zunehmend gewalttätigen Raubzüge der Plünderer sorgen für Schäden. "Wir richten uns doch selbst zugrunde", sagt Fabiola, eine Einwohnerin der vom Beben verwüsteten Stadt Concepción, kopfschüttelnd. Eine weitere Bewohnerin schimpft, die Diebe hüpften von einem Dach zum nächsten und raubten aus leerstehenden Häusern, was nicht niet- und nagelfest sei. Am Montag eskalierte in einigen Orten die Lage, es kam zu Schießereien mit Toten. Doch auch das gab es vereinzelt mitten im Chaos: erste hoffnungsvolle Anzeichen für eine Rückkehr des Alltags.
Die Soldaten, die eineinhalb Tage bis zum Einsatz brauchten, schafften es zwar, den Kollaps in der Nacht zu verhindern, aber auch sie konnten die Ordnung zunächst nicht völlig wieder herstellen in Concepción, der mit mehr als 200 000 Einwohner zweitgrößten Stadt Chiles. "Ich habe nichts mehr", sagt Patricia, eine weitere Bewohnerin. Aus ihrer Sicht klauen die Leute nicht aus Notwendigkeit: "Das ist Vandalismus." Die Plünderer sind unterwegs, seitdem Chile am Samstag in der Früh vom einem Beben der Stärke 8,8 erschüttert wurde. Am Montag wurden in Concepción zwei Großbrände registriert - die Flammen schlugen aus einem Kaufhaus, das zuvor von Hunderten Menschen geplündert worden war.
Am Wochenende waren es zunächst nur einige Frauen, die Windeln, Wasser oder Milch für ihre Kinder mitnahmen. Doch schon bald darauf sah man, wie organisierte Banden moderne Fernsehgeräte, Computer und Handy-Kartons aus den Läden wegschleppten und in wartende Lastwagen einluden. Auch viele Familien fuhren mit Kleintransportern vor und deckten sich mit Kühlschränken, Betten und Fahrrädern ein. Die Regierung schickte insgesamt 10 000 Soldaten in das Katastrophengebiet. Sie sollen ein Abgleiten der Regionen in die Anarchie verhindern.
Am Hafen von Talcahuano, einer der ärmsten Regionen Chiles, plünderten etwa 2000 Menschen Container, die der Tsunami entlang der Küste verstreut hatte. Kisten mit Bananen, Öl und Reis wurden mitgenommen und das vor den Augen der Polizei. "Die Situation war von Anfang an chaotisch", sagt der Polizist Jorge Córdova, während in der Umgebung einige Leute einen Supermarkt ausräumen. Man habe aber versucht zu schützen, was möglich sei.
In Vororten von Concepción lieferten sich am Montag bewaffnete Bürgerwehren, Plünderer und Soldaten Schießereien. In der Gemeinde San Pedro de la Paz seien zwei Menschen durch Schüsse getötet worden, berichtete die Dozentin der Journalistenschule der Universität von Chile, Claudia Lagos, der Deutschen Presse-Agentur dpa. Neben den Kriminellen gibt es aber viele Menschen, die zu Einbrüchen und Plünderungen von Lebensmittelgeschäften gezwungen sind, denn noch immer sind Wasser und Nahrungsmittel knapp.
In der Küstenstadt Coronel, etwas südlich von Concepción, wurde allerdings am Montag auch sichtbar, dass die Lage wieder deutlich ruhiger wurde. Die Menschen spazierten in Gruppen über die Straßen, viele gingen zur Arbeit. Die ersten Busse fuhren wieder durch die Stadt und vor den Zapfsäulen bildeten sich lange Autoschlangen. Anders als zuvor wurde das Benzin aber ordnungsgemäß bezahlt und nicht geraubt. Wann nach dem verheerenden Erdbeben wieder wirklich Ordnung herrscht in dem politisch, wirtschaftlich und sozial stabilen Chile, kann derzeit niemand sagen. Am Montag sah es jedenfalls so aus, als würde das noch einige Zeit dauern.