Feuersbrunst Griechische Tragödie

Nirgendwo wütet das Feuer im August schlimmer als rund um das Dorf Artemida. 23 Menschen sterben in den Flammen, obwohl sie hinter einem Löschwagen der Feuerwehr Schutz gesucht haben. Georgios Paraskevopoulos verliert seine ganze Familie, er selbst überlebt.

Als der Bürgermeister morgens um sieben sein Büro aufschließt, liegt die Warnung schon auf dem Fax. Es ist der 24. August 2007. Seit Tagen brennen die Wälder in Griechenland, mehrere Menschen sind schon umgekommen. Und heute sagen die Meteorologen für seine Region nichts Gutes voraus. Starke Winde. Extreme Hitze. Feuerwarnstufe vier von fünf. Seit fünf Jahren steht Pantasis Chronopoulos der Kleinstadt Zacharo vor, zur Gemeinde zählen auch 23 Dörfer in den Bergen. Hier an der Westküste des Peloponnes wurde er vor 60 Jahren geboren. Lange arbeitete er als Verkehrspolizist.

Jetzt als Bürgermeister setzt er auf Tourismus. Neue Hotels schweben ihm vor, vielleicht ein paar schicke Restaurants. Noch kommen nur wenige Touristen nach Zacharo. Die Busse halten in Olympia, eine halbe Stunde entfernt. Hunderttausende bestaunen jährlich die antike Laufbahn. Zacharos Strände, seine Wälder und Olivenhaine im Hinterland kennen bislang fast nur die Einheimischen.

Der letzte Ferientag vor der Rückfahrt nach Athen

Übers Telefon warnt Chronopoulos die Dörfer, kontrolliert anschließend die feueranfällige Mülldeponie. Alles ruhig. Kurz vor zwei Uhr geht er zum Mittagessen. Kaum hat Chronopoulos das Büro verlassen, klingelt sein Mobiltelefon.
Zehn Kilometer weiter in den Bergen, in Artemida, genießt Familie Paraskevopoulos den letzten Tag ihrer Ferien. Morgen geht es zurück nach Athen, und Georgios Paraskevopoulos macht für Athanasia und die vier Kinder zum letzten Mal Frühstück im Haus seiner Mutter. Der 42-Jährige hat eine kleine Baufirma in Athen, seine Frau unterrichtet am Gymnasium. Beide sind sie hier in Artemida geboren, einem Nest mit 100 Menschen. Alte Steinhäuser stehen neben einer kleinen Kirche, davor plätschert ein Brunnen. Der Blick geht weit hinab bis zum Ionischen Meer. Es ist ein verschlafener Flecken. Erst Anfang der 70er Jahre kam überhaupt Strom herauf, und noch heute lebt man vor allem vom Olivenanbau. Fast jeder besitzt ein paar Hundert Bäume. Wie Paraskevopoulos und seine Frau haben viele auf der Suche nach Arbeit das Dorf verlassen, doch in den Ferien kommt man zurück, trifft Freunde, entspannt in der Bergluft.
Nach dem Frühstück erledigt Paraskevopoulos noch ein paar Renovierungsarbeiten am Haus seiner Mutter. Die Sonne brennt heiß, schon jetzt sind es über 30 Grad. Gegen eins sitzen alle wieder am Mittagstisch. Während sich die Kinder über gefüllte Tomaten hermachen, bemerkt Paraskevopoulos plötzlich einen seltsamen Geruch. Es riecht nach verbranntem Holz. Er schaut nach draußen. Über den Hängen steht grau-weißer Rauch.

Bürgermeister Chronopoulos telefoniert nur wenige Sekunden: In den Bergen brennt der Wald! Mehrere Dörfer auf dem Peloponnes hat es in diesen Wochen des August 2007 schon erwischt. Seit Tagen drucken Zeitungen immer wieder Satellitenbilder, auf denen Rauchschleier von der Halbinsel weit aufs Meer getrieben werden. Und immer noch ist es über 40 Grad heiß. Der Wald ist ausgedörrt. Eine Zigarettenkippe genügt, ein verwehter Funke von Schweißarbeiten. Manchmal brennen Hunderte Hektar wegen einer Unachtsamkeit. Manchmal auch aus Absicht.

Das Dorf ist schon auf der Flucht

Jetzt also Zacharo. Chronopoulos steigt ins Auto. Schon kurz hinter dem Ortsschild ist der Rauch so dicht, dass er das Fernlicht anschaltet. Chronopoulos fährt immer weiter in die Berge, vorbei an noch grünen Hügeln, gelangt schließlich auch nach Artemida. Das Dorf ist schon auf der Flucht. Vor der Kirche, vor den alten Häusern, überall hasten Leute zu ihren Autos. Türen werden zugeschlagen, Motoren heulend gestartet. Chronopoulos ruft ihnen zu: "Runter ans Meer! Schnell!"

Innerhalb weniger Minuten erreicht das Feuer die Wälder um Artemida. Die Straßen füllen sich mit Rauch, die Flammen scheinen zu springen, ja das Dorf umzingeln zu wollen. Chronopoulos rast aus Artemida fort, doch er kommt nicht weit. In einer Kurve steht ein Feuerwehrwagen mitten auf der Straße, um ihn herum fünf Autos. Weiter unten brennt es bereits, einige Wagen sind umgedreht und zurückgekehrt, nun ist der Weg blockiert. Vielleicht 20 Menschen drängen sich ums Feuerwehrauto, Erwachsene, alte Menschen, Kinder. Durch das Krachen des Feuers hört er sie rufen. "Wir werden verbrennen. Wir werden verbrennen. Das Feuer ist überall!"

Familie Paraskevopoulos ist lange ruhig geblieben - auch wenn der Rauch schon durchs Fenster zu sehen war. Alle paar Sommer brennt es irgendwo in den Bergen, doch richtig gefährlich war es noch nie. Warum sollte es jetzt anders sein? Georgios Paraskevopoulos geht zum Platz vor der ehemaligen Schule. Von dort hat man den besten Blick auf die Berge.
Ein paar Kilometer entfernt sieht er dichten Rauch über den Bäumen. Ein paar Nachbarn sind auch da, man deutet mit Fingern auf diesen und jenen Hang, bespricht sich. Das Feuer scheint weit weg - oder nicht? Paraskevopoulos will kein Risiko eingehen. Seine Familie wollte ohnehin noch an den Strand. Sollen sie doch gleich fahren. Während seine Frau Athanasia Handtücher zusammenpackt, hört er, wie draußen Autos vorbeifahren. Schnell vorbeifahren - in Richtung Meer. Und tatsächlich: Das Feuer scheint rasch näher zu kommen. Draußen warten schon seine Mutter und die Nachbarin mit ihren zwei Kindern. Sie wollen weg. Athanasia, die Oma, die Nachbarin, sechs Kinder: Zu neunt quetschen sie sich in den Opel Omega. "Ruf mich an, wenn ihr am Strand seid", sagt Paraskevopoulos zu seiner Frau. "Ich komm nach."
Er geht zurück ins Haus, schließt Fenster und Türen. Als er wieder nach draußen geht, spürt er die Hitze schon wie eine Wand. Ein Nachbar hält mit seinem Jeep vor seinem Haus. "Komm endlich mit!" Ohne lange zu überlegen, steigt Paraskevopoulus ein. Sie nehmen die Straße, die nur wenige Minuten zuvor seine Frau gefahren ist. Doch schon ein paar Meter nach dem Ort sehen sie kaum mehr den Weg. Sie drehen, fahren zurück in die Berge. Über einen Umweg wollen sie an die Küste. Während sie sich auf den Serpentinen nach oben winden, klingelt das Mobiltelefon von Paraskevopoulos. Es ist Athanasia. "Seid ihr am Meer?" Doch seine Frau schreit nur panisch: "Das Auto wird verbrennen! Das Auto wird verbrennen!" "Zum Teufel mit dem Auto! Wo seid ihr? Bringt euch in Sicherheit!" Dann bricht die Verbindung ab.

Die Feuerwehrmänner sind wie gelähmt

Bürgermeister Chronopoulos stellt sein Auto hinter die anderen beim Feuerwehrwagen. Das Feuer scheint von allen Seiten zu kommen. Der Qualm wird immer dichter, viele husten, irgendwo explodieren Bäume, und schon zucken Flammen durch die Olivenhaine. Wir können nicht mehr weiter, hört er, unten ist schon das Feuer. Wir sind eingeschlossen! Chronopoulos schreit die Feuerwehrmänner an. "Fangt doch endlich an zu löschen!" Doch die drei Männer stehen nur wie gelähmt da, sind unfähig, die Schläuche auszurollen. Es sind Saisonkräfte, ohne Erfahrung. Ein Mann versucht, durch einen Olivenhain zu fliehen. Nach zehn Metern bleibt er stehen. Dann fällt er um. Lautlos, fast wie in Zeitlupe.

Die Menschen drängen sich an den Feuerwehrwagen. Auch Athanasia mit ihren vier Kindern. Die Flammen fliegen jetzt von Baum zu Baum. Panik. Schreie. Chronopoulos rennt zu seinem Auto, versucht die Straße durch den Olivenhain zu umfahren, doch er bleibt stecken. Er rennt zurück. Andere kommen ihm entgegen. Sie wollen nur weg, irgendwie, irgendwohin. "Wir fahren durchs Feuer!", schreit Chronopoulos. Mittlerweile schlagen die Flammen über die Straße. Nur ein Mann traut sich mitzukommen. Der Bürgermeister nimmt sich ein anderes Auto, er fährt auf die Flammen zu, Richtung Artemida - dorthin, wo das Feuer vielleicht schon durchgezogen ist. Im Rückspiegel sieht er Athanasia in den Olivenhain hasten, den kleinen Sohn auf ihrem Arm. Dann nehmen die Flammen ihm die Sicht.

Für Sekunden ist um ihn herum nur noch grelles Licht. Wie in Trance steuert er geradeaus. Dann, plötzlich, wird die Hitze schwächer. Irgendwie hat er das Feuer durchbrochen. Irgendwie hat er überlebt.

Der Umweg durch die Berge hat Paraskevopoulos Zeit gekostet. Es ist kurz vor drei, als er endlich in Zacharo ankommt. Hunderte Menschen haben sich aus den Dörfern an den Strand gerettet. Wie gebannt schauen sie hinauf zu den Bergen, wo jetzt nur noch Rauch und Flammen sind. Paraskevopoulos fragt nach seiner Frau, den Kindern. Niemand hat sie gesehen.
In Zacharo trifft Paraskevopoulos seinen Cousin. Mit einem Motorrad fahren sie zurück in die Berge. Mittlerweile ist das Feuer weitergezogen. Neben der Straße qualmen verkohlte Baumstämme, an vielen Stellen brennt es noch. Die Luft ist schwer von Rauch und Asche. Als sie Artemida schon fast erreicht haben, ist die Straße versperrt. Vor ihnen ein Bild des Grauens: Ausgebrannte Autos stehen um einen Feuerwehrwagen herum, zwischen den Wracks und neben der Straße liegen Tote. Eine davon, Paraskevopoulos erkennt sie sofort, ist seine Mutter.
Sie suchen die rauchenden Haine ab, fahren zurück, bringen Taschenlampen. Es wird Abend, es wird Nacht, sie suchen auf der Straße, suchen unter verkohlten Bäumen, suchen, bis die Lampen versagen. Nichts. Um drei Uhr morgens kehren sie nach Zacharo zurück.

Hat jemand überlebt?

Zur gleichen Zeit empfängt Bürgermeister Chronopoulos den griechischen Ministerpräsidenten. Der ist per Hubschrauber gekommen. Chronopoulos berichtet: Wie er dem Feuer entkommen ist, wie er danach durch Artemida gefahren ist, wie er eine verletzte Frau in die Kirche getragen hat, wie er verkohlte Esel gesehen hat, die noch aufrecht standen. Um halb fünf kommt auch der Oppositionsführer nach Zacharo. Aber noch immer ist nicht einmal klar, wie viele überhaupt gestorben sind. Und ob noch jemand überlebt hat.

Es ist früh am nächsten Morgen, die Sonne steht flach über den verbrannten Hügeln, als Georgios Paraskevopoulos seine Frau und die Kinder findet. Mehrmals muss er nachts dicht an der Stelle vorbeigelaufen sein. Fast 500 Meter ist Athanasia noch mit den Kindern durch den brennenden Olivenhain gerannt, bis die Flammen sie eingeholt haben.
Die fünf Leichen liegen am Fuß eines Hügels, von den Bäumen drum herum stehen nur noch schwarze Stümpfe. Im Moment des Todes hat Athanasia offenbar ihre drei Töchter und den Sohn an sich gedrückt. Mehr ist nicht zu erkennen. Was dann geschieht, weiß Paraskevopoulos nicht mehr.

In Griechenland haben 75 Menschen in den Flammen den Tod gefunden

Bürgermeister Chronopoulos schläft fünf Tage in seinem Büro. Er öffnet Schulen als Notunterkünfte, lässt Essen verteilen, hilft bei der Suche nach vermissten Angehörigen - oft erfolglos. Insgesamt 23 Menschen haben in den Flammen vor Artemida den Tod gefunden, in ganz Griechenland sind es 75. Außer ihm haben nur zwei Männer das Inferno beim Feuerwehrwagen überlebt.

Heute, vier Monate nach der Katastrophe, koordiniert Chronopoulos den Wiederaufbau von Artemida. Zypern hat angeboten, neue Häuser zu errichten, doch keines ist bislang wieder instand gesetzt. Die Olivenhaine rund ums Dorf sind schwarz und braun, an der Unglücksstelle liegen Blumen und Kinderspielzeug. Im Büro bewahrt er ein längliches, seltsam geformtes Stück Metall auf - eine geschmolzene Autofelge von der Feuerstelle. In wenigen Wochen wird ihm ein Untersuchungsbericht vorliegen, aber unklar wird auch dann noch sein, wie das Feuer überhaupt entstehen konnte. Gerüchte von Brandstiftung machen die Runde. Es geht um Bauplätze, Land für eine neue Straße, Wahlkampfhilfe für die Opposition, aber Beweise gibt es, wie überall in Griechenland, nicht.

Georgios Paraskevopoulos lebt noch immer in Athen. Fernsehsender haben ihm mehrere Zehntausend Euro für ein Gespräch geboten, doch er hat abgelehnt. Wenn er über seine tote Familie spricht, wirkt er gefasst; seine Stimme bricht nicht, es fließen keine Tränen, nur manchmal verbirgt er das Gesicht kurz in seinen Händen. Oft kann er nicht arbeiten. Einmal pro Woche fährt er die vier Stunden nach Artemida, um auf dem kleinen Friedhof das Grab seiner Frau Athanasia, der Kinder Angeliki, Maria, Anastasia und Konstantinos zu besuchen. Er geht ins Haus seiner toten Mutter, setzt sich an den Tisch, an dem er am Morgen des 24. August mit seiner Familie zum letzten Mal gefrühstückt hat, an dem sie mittags zusammen gefüllte Tomaten gegessen haben. Ein paar Minuten bleibt er dort. Dann fährt er wieder zurück nach Athen.

Mitarbeit: Joanna Kourela

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