Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann nicht nur ein beispielloser Vernichtungskrieg, sondern auch die "Vernichtung der jüdischen Rasse", wie es Adolf Hitler einst ausdrückte. Bis zum März 1942 waren schätzungsweise 20 bis 25 Prozent der Opfer des Holocausts bereits tot. Bis zum Februar 1943 waren es schon 80 Prozent. Die USA und Großbritannien gaben lange Zeit vor, nichts von dem Massenmord gewusst zu haben. Doch man ahnte schon immer: Die Alliierten wussten viel mehr und viel früher, als sie zugaben.
Alliierte wussten schon 1942 Bescheid
Neu entdeckte Geheimdokumente aus UN-Archiven belegen dies. Einst wurden sie von einer Kommission für Kriegsverbrechen (UNWCC) angelegt. 70 Jahre lang wurden sie unter Verschluss gehalten. Der Wissenschaftler Dan Plesch konnte aber Einsicht nehmen. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er nun in dem Buch "Human Rights After Hitler: The Lost History of Prosecuting Axis War Crimes".
Die Akten zeigen, dass die Alliierten bereits 1942 von dem Holocaust wussten - also zweieinhalb Jahre früher, als sie behaupteten. "Bislang ist man davon ausgegangen, dass sie davon erfuhren, als sie die Konzentrationslager entdeckten", erzählte Plesch im Gespräch mit der britischen Zeitung "Independent". Doch seine Recherchen hätten gezeigt, dass die Großmächte über den Massenmord an Juden bereits viel früher informiert waren.
Verräterische Kommentare über den Holocaust
Kommentare von britischen und amerikanischen Politikern verraten dies. Viscount Cranborne, ein Minister im Kriegskabinett von Winston Churchill, forderte etwa 1943, dass die Juden nicht als ein Sonderfall betrachtet werden, da das Britische Empire bereits zu viele Flüchtlinge aufgenommen habe, um allen noch Sicherheit bieten zu können.
In den Dokumenten ist auch eine Äußerung des britischen Außenministers Anthony Eden festgehalten. Vor dem britischen Parlament sagte er im Dezember 1942: "Die deutschen Behörden verweigern den Menschen der jüdischen Rasse auf den Gebieten unter ihrer barbarischen Herrschaft nicht nur die elementarsten Menschenrechte, sondern setzen Hitlers oft wiederholte Absicht, das jüdische Volk zu vernichten, in die Realität um."
Klagen wegen Kriegsverbrechen vorbereitet
Der Professor vom Zentrum für Internationale Studien und Diplomatie an der SOAS University in London stellte fest, dass die britische, die amerikanische und auch die sowjetische Regierung von mindestens zwei Millionen getöteten Juden wussten und davon ausgingen, dass weitere fünf Millionen in Gefahr sind. Die UN bereitete sogar Klagen wegen Kriegsverbrechen vor und sammelte dafür Zeugenaussagen, die aus den Konzentrationslagern oder von Widerstandsbewegungen in den verschiedenen von den Nazis besetzten Ländern stammen. Auch gegen Adolf Hitler wurden Klagen vorbereitet.
Dennoch wurden viele Fälle nicht weiter verfolgt. Laut Plesch gab es dafür mehrere Gründe. Zum einen habe die US-Regierung Angst gehabt, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland nach dem Krieg zu gefährden. Zum anderen sei den Amerikanern und Briten klar gewesen, dass "sie einige der Nazis brauchen werden, um Deutschland wieder aufzubauen und den Kommunismus zu bekämpfen, der damals als die größere Gefahr angesehen wurde", so der Wissenschaftler.
Nicht die ersten Beweise
Die veröffentlichten UN-Dokumente sind freilich nicht die ersten Belege dafür, dass die Alliierten bereits sehr früh von dem Holocaust wussten. 1980 fand beispielsweise der amerikanische Historiker und Publizist Walter Laqueur heraus, dass die Briten den verschlüsselten Code der SS bereits 1941 geknackt hatten und den Funkverkehr der Nazis abhörten.
1996 wurde diese Annahme durch den Washingtoner Geschichtsprofessor Richard Breitman bestätigt. Er setzte die Veröffentlichung der britischen Abhörprotokolle durch. Diese enthielte unter anderem Erfolgsmeldungen der deutschen SD-Einsatzgruppen und Polizeibataillone, die im Sommer 1941 in der Sowjetunion mit der "Judenvernichtung" begannen.
