"Großes Glück" Gewaltiger Felssturz: Schweizer Bergdorf Brienz wird nur knapp verfehlt

Brienz nach dem Felsrutsch in der Nacht zum Freitag
Brienz nach dem Felsrutsch in der Nacht zum Freitag
© Michael Buholzer/KEYSTONE / DPA
Sehen Sie im Video: Felsmassen verfehlen Schweizer Dorf Brienz nur knapp.




STORY: Schon am Donnerstagabend rumorte es erneut am Berg über dem Ort Brienz, im schweizerischen Kanton Graubünden, über Nacht ging dann eine gewaltige Steinlawine ab, die das Alpendorf nur knapp verfehlte, eine Straße in der Nähe wurde jedoch verschüttet. Mit Bedrohungen durch Felsstürze mussten die Bewohner des Alpendorfes seit jeher umgehen. In Brienz war zuletzt jedoch ein großes Gesteinspaket, eine sogenannte Insel, instabil geworden, auch die Bewegungen am Berg hatten zugenommen. Vor einigen Wochen wurde die Lage so bedrohlich, dass die Behörden anordneten, den Ort zu evakuieren. Mitte Mai mussten alle der gut 80 Einwohner Brienz verlassen. Der Schuttstrom in der Nacht zu Freitag ist für die Brienzer nun vielleicht ein Glücksfall, denn laut Geologen sind rund zwei Drittel der Fels-Insel heruntergekommen. Wie stabil die Lage am Berg ist, muss nun geprüft werden, hieß es auf einer im Schweizer Fernsehen übertragenen Pressekonferenz am Freitagnachmittag.
Wochenlang schaut die Schweiz gebannt nach Brienz, wo sich ein Felssturz anbahnte. Live-Kameras zeigten herabdonnernde Felsbrocken. Das Großereignis passierte aber dann in der Dunkelheit. Schäden gibt es anscheinend keine.

Mit höllischem Getöse hat sich in der Nacht der seit Wochen erwartete Bergsturz bei Brienz in der Schweiz ereignet. Riesige Felsmassen stürzten den Hang hinunter und blieben nur wenige Meter vor dem alten Schulhaus des Bergdorfes auf rund 1100 Metern Höhe liegen. Eine Straße oberhalb des Dorfes liege meterhoch unter Geröll, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Albula, zu der Brienz gehört. Der Bergsturz habe sich zwischen 23 Uhr und Mitternacht ereignet. Im ganzen Tal sei es sehr laut gewesen. Der Krisenstab der Gemeinde traf sich zweimal in der Nacht und wertete im Morgengrauen die ersten Fotos aus. "Brienz hatte großes Glück", sagte Gartmann dem Sender SRF. "Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass es Schäden gab."

Ob die Wohnhäuser und die Kirche aber wirklich völlig verschont geblieben sind, sollte im Laufe des Tages bei einem Helikopterflug überprüft werden. "Bei solchen Ereignissen krachen manchmal Felsblöcke auf andere Blöcke. Dann gibt es Splittersteine von der Größe einer Faust bis zu einem Fußball", sagte Gartmann. Sie könnten "wie eine Kanonenkugel" Hunderte Meter durch die Luft schießen und Fensterscheiben oder andere Gebäudeteile beschädigen.

Dorf Brienz evakuiert – nur Kameras im Ort

Brienz im Kanton Graubünden, rund 25 Kilometer Luftlinie südwestlich von Davos, ist seit Wochen gesperrt. Niemand hält sich dort auf. Nur installierte Kameras haben rund um die Uhr aufgezeichnet, was passiert. Am Mittwoch waren bereits riesige Felsbrocken abgestürzt. Alles blieb nach erstem Augenschein auf Wiesen vor dem Dorf liegen.

So sah es in Brienz noch im April aus. Fels war bereits abgegangen, lag aber noch etwas vom Dorf entfernt.
So sah es in Brienz noch im April aus. Fels war bereits abgegangen, lag aber noch etwas vom Dorf entfernt.
© Gian Ehrenzeller/KEYSTONE / DPA
Brienz nach dem Felsrutsch in der Nacht zum Freitag
Brienz nach dem Felsrutsch in der Nacht zum Freitag
© Michael Buholzer/KEYSTONE / DPA

Vorher-Nachher-Bilder zeigen nun die massiven Veränderungen im Landschaftsbild. Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiese, Bäume und eine Holzhütte zu erkennen. Am Freitag war alles unter einem riesigen grauen Schuttberg begraben. Das Dorf sieht auf den Bildern im Vergleich dazu wie eine Miniaturanlage aus.

Unterhalb des Dorfes waren vorsorglich Straßen und Bahnstrecken gesperrt worden. Der Zugverkehr in den Ferienort St. Moritz wird umgeleitet, weil die Strecke zwischen Tiefencastel und Filisur gesperrt ist, wie ein Sprecher der Rhätische Bahn sagte. Der 6. Etappenstart des Fahrradrennens Tour de Suisse musste am Freitag von La Pont nach Chur verlegt werden.

Berg bei Brienz seit Jahrtausenden in Bewegung

Anders als beim jüngsten Bergsturz im österreichischen Tirol ist in Brienz nicht der Klimawandel Auslöser. Er führt andernorts dazu, dass der Permafrost schmilzt, also das Eis, das Fels in großen Höhen wie Klebstoff zusammenhält. In Tirol waren am vergangenen Sonntag rund 100.000 Kubikmeter abgestürzt. Hunderte Meter des Südgipfels des Fluchthorn-Massivs samt Gipfelkreuz brachen ab. Das Felsmaterial landete fernab von bewohntem Gebiet und gefährdete niemanden.

Doch der Berg oberhalb von Brienz ist laut Experten seit Jahrtausenden in Bewegung. Die Rutschung hatte sich über Jahre beschleunigt. Diese Woche rutschten die Gesteinsmassen schon mit einer Geschwindigkeit von 40 Metern pro Tag. Als die Lage im Frühjahr zu brenzlig wurde, hatte die Gemeinde beschlossen, die rund 80 Bewohner in Sicherheit zu bringen. Sie harren seit Mitte Mai bei Verwandten oder in Ferienwohnungen in der Region aus.

In Brienz rechneten Geologen mit dem Abrutschen von zwei Millionen Kubikmetern Gestein, 20 Mal so viel wie in Tirol. Wie viel davon in der Nacht herunterkam, war am Freitag noch nicht abzuschätzen. Unklar war auch, ob weiter Fels in Richtung Dorf rutscht. "Wir gehen derzeit davon aus, dass dies leider noch nicht ganz alles war", sagte Gemeindesprecher Gartmann. Wann die Menschen wieder ins Dorf zurückkehren können, war daher nicht absehbar.

DPA
rw / Christiane Oelrich

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