Interaktive Karte Wir brauchen mehr Energie aus Sonne und Wind – nicht nur, um das Klima zu schützen

Kleinstadt in der Abenddämmerung mit Solardächern und Windpark
Der Ort Lichtenau in der Nähe von Paderborn nennt sich selbst Energiestadt. Die mehr als 170 Windkraftanlagen produzieren neunmal so viel Strom, wie die 11.000 Einwohner verbrauchen. Viele Dächer von Privat- und Firmenhäusern tragen zudem Solarmodule.
© IMAGO/Jochen Tack
Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das gelingt natürlich nur mit einem massivem Ausbau der erneuerbaren Energien. Mancherorts klappt das schon gut, in anderen Bereichen aber gar nicht. Wieso?

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Damit das klappt, braucht es vor allem bei der Energie- und Stromerzeugung mehr Bereitschaft zur Veränderung und mehr Tempo als bisher. Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Im vergangenen Jahr stammten etwa 55 Prozent des Stroms aus Windkraft, Solar, Biogas und derlei Quellen. An sich ist das schon ein recht guter Wert, aber nicht genug. 

Für den Ausbau der Stromerzeugung aus regenerativen Quellen gibt es deutliche Vorgaben, bis wann welche Zuwächse in den einzelnen Sparten nötig sind, um die Ziele zu erreichen. Doch je nach Sektor klaffen zwischen Wunsch (bzw. politischer Vorgabe) und Realität mehr oder minder große Lücken. 


Ausbau erneuerbarer Energien 
Sonnenenergie und Windkraft sind die beiden wichtigsten Säulen bei der erneuerbaren Energieerzeugung. Und beim Ausbau von Solarstrom ist Deutschland auch auf Kurs, beim Ausbau der Windkraft aber hinkt man den Vorgaben hinterher.  


  
Sehr gut schreitet der Ausbau der Solarenergie voran. Auf den Dächern von Privat- und Firmengebäuden, auf öffentlichen Gebäuden oder auch Freiflächen finden sich immer häufiger Solarpanele. Grund dafür ist auch, dass die Module wegen einer Überproduktion in China derzeit recht günstig zu bekommen sind. Auch kleinere Lösungen wie die sogenannten Balkonkraftwerke scheinen vielen Bürgern offenbar sinnvoll, um die eigene Stromrechnung zu reduzieren. Die oben stehende Grafik zeigt den jeweiligen aktuellen Stand des Ausbaus im Vergleich zur Vorgabe der Bundesregierung. Für Solarstrom ist Deutschland klar auf Kurs. Werden in den kommenden Jahren weiterhin so viele neue Sonnenstromanlagen installiert wie derzeit, scheint das Ziel von 400 Gigawatt Solarstrom bis zum Jahr 2040 durchaus realistisch. 

eine junge Frau und zwei junge Männer vor Plakat mit Tornado
© Mirko Hannemann

Das Klimadashboard

Sie sind Wirtschaftswissenschaftlerin, Webdesigner, Biologinnen und Psychologen, sie sind jung – und sie alle eint ein Wunsch: den Klimawandel, seine Ursachen und seine Folgen besser verständlich zu machen. Mitte September starteten 16 Frauen und Männer des Vereins Klimadashboard die deutsche Website Klimadashboard.de. Im Bild: Johanna Kranz, Adrian Hiss und Cedric Carr.

Ganz anders sieht es indes bei der Windenergie aus. Mehrfach hat Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet, dass pro Tag vier bis fünf Windenergieanlagen aufgestellt werden müssen und sollen. Nur so kann es gelingen, die Windkraft an Land bis 2030 zu verdoppeln, wie es das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG23 vorschreibt. 

Doch tatsächlich wurden im ersten Halbjahr 2023 gerade einmal durchschnittlich zwei Anlagen pro Tag gebaut. Die Windenergie-Grafik zeigt daher einen deutlichen Knick nach unten und verfehlt klar die Vorgabe aus der Politik. Daran hat offenbar auch die gesetzliche Vorgabe aus dem Bundeswirtschaftsministerium nichts geändert, der zufolge jedes Bundesland zwei Prozent seiner Fläche für den Ausbau der Windenergie reservieren muss.

Klimaschutz versus Umweltschutz

Die langwierigen und aufwendigen Verfahren, die der Installation vorausgehen, erweisen sich dabei immer noch als immense Hemmnisse. Durchschnittlich vier bis fünf Jahre dauert es, bis ein neues Windrad geplant und genehmigt ist. Die oft massiven Widerstände einiger Menschen vor Ort tun ihr Übriges. Ob Greifvögel oder Fledermäuse: Die Engagierten stellen häufig den Natur- über den Klimaschutz. "Vereinzelt stehen Ziele im Klimaschutz im Widerspruch zu Zielen im Umweltschutz. Das ist jedoch keine Rechtfertigung dafür, die beiden Themen gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil: Wir müssen sie stets zusammen denken“, sagt Cedric Carr, Psychologiestudent und Projektleiter beim Verein Klimadashboard. Der Verein visualisiert Zahlen und Fakten zu Ursachen und Folgen des Klimawandels (Klimadashboard.de). 

Interessanterweise steht die Mehrheit der Bundesbürger hinter dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. 82 Prozent unterstützen ihn laut einer aktuellen Studie. Selbst in Bayern, das beim Ausbau von Windenergie deutlich hinterherhinkt, ist die Zustimmung der Bevölkerung hoch. "Es fehlt nicht am gesellschaftlichen Willen, sondern am politischen Willen", sagt Carr. Auch die Lobby einiger Großkonzerne aus der Kohleindustrie verzögert den Umbau. 

Das oft genannte Argument, Windkraftanlagen würden die schöne Landschaft "verspargeln", lässt Carr derweil nicht gelten: "Ich empfehle jedem eine Reise zum größten Loch Europas, dem Braunkohletagebau im Ruhrgebiet. Dort sieht man, wie die fossile Energieerzeugung die Landschaft großflächig zerstört." Zumal Braun- und Steinkohle nicht nur optische Schäden hinterlassen, sondern mit ihrer Verbrennung auch stark der Gesundheit der Menschen schaden. "Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Nahezu alle Bundesbürgerinnen und -bürger sind der Gefahr durch Feinstaub ausgesetzt, der mitunter bei der Verbrennung von Kohle entsteht", so Cedric Carr. Mehr als 10.000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland gehen auf das Konto von Verbrennungsrückständen. Die Nutzung von erneuerbaren Energien, sie würde auch zum Schutz der Gesundheit beitragen. "Aber das ist vielen Gegnern der Windenergie nicht bewusst", sagt Carr.

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