Adolf Hitler, einer der schlimmsten Verbrecher der Geschichte, übt auf viele Menschen immer noch eine seltsame Faszination aus. In die lange Reihe von Dokumentationen über sämtliche Lebensbereiche des Nazi-Diktators stellt sich eine britische Produktion: Die zweiteilige Reihe "Hitler’s DNA: Blueprint of a Dictator", die vom Sender Channel 4 ausgestrahlt wird, will das Erbgut des Führers entschlüsselt haben.
Die Genetikerin Turi Emma King hat dafür Blutflecken auf einem Stück Stoff vom Sofa im Führerbunker analysiert. Das Sofa stand in dem Raum, in dem Hitler und Eva Braun sich 1945 das Leben nahmen. Ein Vergleich mit der DNA eines Mannes mit gemeinsamen Vorfahren väterlicherseits soll angeblich die Echtheit beweisen.
Adolf Hitler litt laut britischer Doku am Kallmann-Syndrom
Die Ergebnisse zeigten laut King und anderen beteiligten Forschenden unter anderem, dass Hitler am Kallmann-Syndrom gelitten habe. Die genetische Erkrankung kommt bei etwa einem von 8000 Männern vor und sorgt dafür, dass die Pubertät ausbleibt oder verzögert stattfindet. Dazu passen ärztliche Akten aus Hitlers Haftzeit nach seinem missglückten Putsch 1923, in denen ihm ein sogenannter Hodenhochstand bescheinigt wird. Bis zu zehn Prozent der Betroffenen haben außerdem einen Mikropenis. Galt das auch für Hitler? Diese Frage lässt sich seriös nicht mehr beantworten.
Möglicherweise habe Hitler deshalb angeordnet, dass sein Leichnam verbrannt werden sollte, wird laut "Guardian" in der Doku spekuliert. Alex J. Kay, Historiker an der Uni Potsdam, vermutet, dass für Hitler wegen der Störung kein Privatleben möglich war und er sich dadurch voll auf seinen Weg an die Macht konzentrieren konnte. Wissenschaftlerin King stellt aber auch klar: "Die Genetik kann sein Handeln in keiner Weise entschuldigen."
Ergebnisse sollten mit Vorsicht genossen werden
Mit einem anderen Mythos will die Doku aufräumen. Hitlers DNA zeige klar, dass er in seinem Stammbaum keine – wie manchmal vermutet wurde – jüdischen Vorfahren gehabt habe. Für den Historiker Kay war dies die wichtigste Erkenntnis. Dennoch: Mit dem von ihm propagierten Bild des arischen Herrenmenschen habe Hitler selbst wenig zu tun gehabt. King drückt es drastisch aus: "Wenn er sich seine eigene DNA angesehen hätte, hätte er sich wahrscheinlich selbst in die Gaskammer geschickt."
So habe die Analyse der DNA ergeben, dass der Diktator auch ein hohes Risiko für eine bipolare Störung, Autismus und Schizophrenie gehabt habe. Dafür wurde Hitlers Genom mit Daten der heutigen Bevölkerung verglichen. Allerdings ist die Aussagekraft solcher Ergebnisse über die historische Realität begrenzt. "Ob Hitler eine dieser Krankheiten hatte, wissen wir aus seiner DNA nicht", räumte Turi Emma King im Gespräch mit der "Zeit" ein.
Generell sind die in der Sendung vorgestellten Erkenntnisse mit Vorsicht zu genießen. Normalerweise ist es in der Wissenschaft üblich, dass Forschungsergebnisse erst nach einem sogenannten Peer-review-Verfahren veröffentlicht werden – also nachdem andere Wissenschaftler sie überprüft haben. Dies ist hier nicht der Fall.
Dennoch können die Erkenntnisse für die historische Forschung wichtig sein, ordnete der Historiker Thomas Weber bei "T-Online" ein: "Forscher aus zahlreichen Disziplinen haben bislang versucht, Hitler zu deuten. Vieles davon war reine Spekulation, wenn auch durchaus plausibel. Wenn wir nun Hitlers Verhaltensweisen betrachten, die mit diesen Krankheitsbildern einhergehen, dann verstehen wir ihn wahrscheinlich ein bisschen besser."
Quellen: "Guardian", "Telegraph", "Times", "Zeit", Channel 4, "T-Online"