Eines ist Craig Venter ganz sicher nicht: bescheiden. 2010 rühmte sich der Gentech-Pionier, als erster künstliches Leben geschaffen zu haben. Das stimmte zwar nicht so ganz: Tatsächlich hatten Venter und sein Team das gesamte Erbgut eines Bakteriums, sein Genom, künstlich nachgebaut und es in die Hülle eines anderen, nahe verwandten Bakteriums eingebracht. Aus diesem hatten sie zuvor die DNA entfernt. Der Kern des Winzlings war somit im Labor hergestellt, nicht das ganze Lebewesen. Ein Meilenstein in der sogenannten Synthetischen Biologie (siehe Kasten) war das dennoch. Das Experiment glückte: Das so geschaffene Bakterium fiel zwar nicht durch besondere Fähigkeiten auf, es war aber lebensfähig und vermehrte sich.
Nun berichtet das Team im Fachmagazin "Science" von einem weiteren Erfolg: Sie hätten das Erbgut einer Zelle so verschlankt, dass es gerade nur noch die zum Leben notwendigen Gene enthält, jubeln Venter und Kollegen. Ein sogenanntes Minimalgenom sei entstanden. Man könnte auch sagen: Die Forscher haben den komplexen Bauplan der Natur rationalisiert und effizienter gemacht.
Denn tatsächlich schleppt ein Bakterium mehr Genbausteine mit sich herum, als es zum Leben und Vermehren braucht. Der Ballast stammt aus der Geschichte: Die Evolution verläuft selten geradlinig, im Laufe von Milliarden Jahren haben Bakterien im Erbgut eine Vielfalt an Genen angesammelt. Manche waren in der einen Umgebung nützlich, verloren aber im Lauf der Zeit ihren Sinn und sind mittlerweile inaktiv. Andere kommen doppelt vor. Wieder andere wurden vorsorglich einverleibt - man weiß ja nie, was in der feindlichen Umwelt einmal zum Überleben dient.
Forscher wie Venter haben sich zum Ziel gesetzt, diese Vielfalt soweit wie möglich zu reduzieren. Sie verordnen der Zelle gleichsam einen Frühjahrsputz. Und der schont Ressourcen: Eine so vereinfachte Zelle verbraucht bei ihrem Stoffwechsel weniger Energie.
Für das Ziel, das die modernen Genom-Ingenieure, vor Augen haben, ist das äußerst sinnvoll: Sie wollen kleine Organismen so verändern, dass sich mit ihnen maßgeschneidert etwa Medikamente oder Biosprit herstellen lässt. Kurz gesagt: Die Zellen sollen sich in kleine Fabriken verwandeln, die gezielt und effizient das Gewünschte produzieren. Bestenfalls, so die Idee der Gen-Designer, ließe sich dafür eine Art Minimalversion einer Zelle herstellen. Ein Gerüst oder eine Plattform, bestehend nur aus den notwendigsten Genen, die sich mit anderen DNA-Bausteinen je nach Wunsch bestücken ließe.
Der Rohling der Zellfabrik?
Nach jahrelanger Bastelarbeit ist Craig Venter und seinem Team vom J. Craig Venter Institut in Kalifornien nun ein Schritt in diese Richtung gelungen. Sie haben einen lebendigen Mikroorganismus erschaffen, der das bislang kleinste Erbgut der Welt hat - und nur die Gene aufweist, die er zum Überleben und Fortpflanzen in der Petrischale braucht. Syn 3.0 haben die Schöpfer ihr Werk getauft.
Um es zu entwerfen, haben Venter und Co. erneut mit relativ simplen Bakterien gearbeitet. Die sogenannten Mykoplasmen besitzen von Natur aus nur wenige hundert Gene. Das Erbgut von Mycoplasma mycoides hatten die Forscher bereits für die Publikation 2010 im Labor nachgebaut. Jetzt versuchten sie, so viele Gene daraus zu entfernen wie möglich. Auf Anhieb klappte das nicht.
Um sich ihrem Ziel zu nähern, unterteilten sie das künstliche Genom schließlich in acht Abschnitte. Deren Anfang und Ende markierten sie mit speziellen DNA-Stücken, sodass sich jeder Teilabschnitt leicht erkennen ließ. In jedem einzelnen der acht Abschnitte schalteten die Forscher gezielt Gene aus oder schnitten sie heraus. Den bearbeiteten Abschnitt fügten sie dann wieder mit dem Gesamtgenom zusammen. Das veränderte Erbgut gaben sie zurück in die entkernte Hülle einer anderen Zelle - um zu testen, ob diese lebensfähig war. War das nicht der Fall, hatten sie ein lebensnotwendiges Gen entfernt.
"Das war keine einfache Aufgabe", sagt Venter. Vier Jahre länger als gedacht habe der Prozess aus Versuch und Irrtum gedauert. Manche Gene, die doppelt vorlagen und die die Forscher zuerst als nicht unbedingt notwendig einstuften, entpuppten sich bei genauem Hinsehen als wichtig für die Zelle. Zumindest eines davon musste verbleiben - ansonsten starb das Bakterium ab.
Viele Hunderte Entwürfe designte, baute und testete das Team, bevor sie am Ende bei Syn 3.0 landeten. Das enthält "nur" noch 473 Gene. Mycoplasma genitalium, die Bakterienart mit dem kürzesten natürlichen Erbgut kommt dagegen auf 525 Gene. Zugegeben, der Unterschied klingt nicht gerade groß. Doch Mycoplasma genitalium wachse langsam, heißt es in einem zu der Studie erschienen Artikel in "Science". Um sich zu verdoppeln, brauche eine in der Petrischale angelegte Kultur Wochen. Syn 3.0 hingegen schaffe das in drei Stunden. Offenbar lasse das abgespeckte Genom das Bakterium wachsen und gedeihen.
Doch ist es damit gelungen, das Gerüst zu schaffen, auf das die Gen-Ingenieure seit Jahren hinarbeiten? Die Minimalzelle, die als Rohling für maßgeschneiderte Helfer dienen kann? "Es ist ein wichtiger Schritt, um einmal eine Zelle zu entwerfen, bei der das Genom komplett bestimmbar ist", sagt Chris Voigt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Doch noch sei das in weiter Ferne. Denn bei Syn 3.0 tappen die Forscher zu großen Teilen noch im Dunklen, die mysteriöse Mikrobe hat noch längst nicht alle ihrer Geheimnisse preisgegeben: Die Funktion von etwa einem Drittel ihrer Gene ist unbekannt.
Von einem Durchbruch will auch Petra Schwille, Direktorin der Abteilung "Cellular and Molecular Biophysics" am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München, daher noch nicht sprechen. "Es ist ein konsequenter weiterer Schritt auf dem von Craig Venter eingeschlagenen Weg hin zu einem minimalen Genom", so die Biophysikerin. "Ich bin aber nicht überzeugt, dass diese 473 Gene wirklich das kleinste Genom sein sollen, die ein lebensfähiger Organismus mindestens haben muss." Besonders die Gene, deren Funktion noch unbekannt ist, auf die das Bakterium aber offenbar nicht verzichten kann, zeigen ihr zufolge ganz deutlich: Wir sind noch weit davon entfernt, künstliches Leben am Reißbrett zu entwerfen.
Syn 3.0, ist Venter überzeugt, könne aber dabei helfen, den Kern des Lebens zu verstehen. "Wir behaupten nicht, dass es das endgültige Minimalgenom ist", sagt Venter. An seinem Ziel, eine vereinfachte, "gläserne" Zelle zu entwerfen, bei der sich die Funktion eines jeden Gens bestimmen lässt, ist er noch nicht angekommen. Noch lässt sich die Natur nicht vollständig in die Karten blicken.