Womöglich hätte sie soziale Netzwerke wie Instagram geliebt: Die englische Königin Elizabeth I. (1533–1603) wusste genau, wie sie sich in Szene setzt. Und sie achtete streng darauf, welche Informationen und Bilder von ihr an die Öffentlichkeit gelangten. Ihr Image war ihr extrem wichtig – und vermutlich musste es das auch sein, denn ihr religiös verklärtes Auftreten als "jungfräuliche Königin", die nur mit ihrem Land verheiratet ist, dürfte signifikant dabei geholfen haben, im patriarchalen Europa der Renaissance als Frau auf dem Thron ernstgenommen zu werden.
Doch um diese Aura aufrechtzuerhalten, gab es strenge Regeln am Hof. Nachdem Elizabeth I. ein gewisses Alter überschritten hatte, wurden Porträts der Königin zunehmend stilisiert, Künstler sollten sich an den früheren Bildnissen orientieren und eine junge Herrscherin malen, nicht das alternde Original. Und logischerweise wurden auch Berichte vom Hof streng zensiert. Was auch immer Elizabeth nicht im besten Licht dastehen ließ, wurde auf keinen Fall veröffentlicht. Und das behielt nach dem Tod auch ihr Nachfolger so bei: James I. ließ eine Chronik über die Regierungszeit seiner Großtante anfertigen, in der er nichts auf sie kommen lassen wollte.
Elizabeth I.: Streng reglementiertes Vermächtnis
Verfasst wurde das Werk ab 1607 von William Camden, einem leidenschaftlichen Historiker, der an der Universität Oxford studiert hatte. Er bekam für die Arbeit an seinen "Annalen" exklusiven Zugang zu allen höfischen Akten, privaten Aufzeichnungen und Briefen Elizabeths. Da er im Auftrag des Königs schrieb, den er keinesfalls verärgern wollte, zensierte er allerdings im Nachhinein Passagen, oder fügte neue hinzu. Das war den Forschenden schon länger bekannt – sie hatten allerdings keine Möglichkeit, die verdeckten Stellen zu lesen: Das Pergament war entweder abgeschabt und neu beschrieben oder gar überklebt worden. Die aufeinandergepressten Seiten zu trennen wäre nicht ohne signifikante Beschädigungen möglich gewesen.
Nun aber gibt es eine neue, extrem gute Bildgebungstechnologie für solche Fälle, die Pergament quasi durchleuchten kann. "Die Bildgebung ist revolutionär", schwärmt Julian Harrison von der British Library. "So etwas war uns vorher nie möglich. Es ist einfach fantastisch!" Er und sein Team haben mit Camdens Annalen nun einiges an Arbeit vor sich: "Wir besitzen hier zehn Bände handgeschriebener Manuskripte, wovon tatsächlich mehrere hundert Seiten verdeckte Passagen aufweisen."
Wird sich ihre Geschichte drastisch verändern?
Was die Wissenschaftler:innen jedoch schon entziffern konnte, sei "atemberaubend": So konnten sie lesen, dass Chronist William Camden ursprünglich deutlich drastischer über den Moment im Jahr 1570 schrieb, als Papst Pius V. die anglikanische Elizabeth I. exkommunizierte. Er schrieb von einer "religiösen Kriegshandlung" gegen die Königin, schwächte das aber offenbar später im Sinne (des katholisch getauften) König James etwas ab und änderte den Satz zu "geheimen Plänen", die Pius gegen die Königin geschmiedet habe.
Die Welt der Ritter
Ebenfalls sehr spannend: Die über Jahrhunderte weitergetragene Anekdote, dass die kinderlose Elizabeth I. auf dem Sterbebett verkündet habe, dass sie sich James I. als Nachfolger wünsche, wurde wohl erst im Nachhinein von Camden aufgeschrieben. Und ist wohl unwahr – denn die Königin konnte in ihren letzten Tagen nicht mehr sprechen. Allein diese beiden Entdeckungen werfen bereits ein neues Licht auf die Regierungszeit der legendären Monarchin – und das Forschungsteam hat gerade erst angefangen, die "Annalen" zu durchleuchten – im wahrsten Sinne des Wortes.
"Es dürfte sehr spannend werden, zu schauen, wie sich die moderne Betrachtung der bedeutsamen historischen Figur Elizabeth I verändern wird", sagt Julian Harrison.
Quelle: "The Guardian"