Die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen haben die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrates benannt. Das neue Gremium soll Regierung und Parlament in ethischen, medizinischen, rechtlichen und sozialen Fragen beraten. Der Deutsche Ethikrat ist Nachfolger des Nationalen Ethikrates, der 2001 vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder eingesetzt worden war. Der alte Rat wurde mit einem Kabinettsbeschluss aufgelöst. Das neue Gremium arbeitet nun auf einer gesetzlichen Grundlage.
Regierung und Parlament haben jeweils 13 Wissenschaftler benannt - darunter Mediziner, Naturwissenschaftler, Juristen, Philosophen und Theologen. Sie sollen Forschungsergebnisse etwa aus der Bio- oder Gentechnologie oder der Reproduktionsmedizin bewerten und Stellungnahmen und Empfehlungen abgeben. Medizinerin Christiane Woopen war Mitglied des Nationalen Ethikrates und wurde auch für das neue Gremium benannt. Im stern.de-Interview spricht sie von der Arbeit im Rat.
Frau Woopen, kann ich mir den Ethikrat als gutes Gewissen der Nation vorstellen?
Dieses Etikett würde ich ihm sehr ungern umhängen. Der Ethikrat ist weder eine Sammlung von Moralaposteln noch ist er eine Waschanlage für das deutsche Gewissen. Es handelt sich um ein Gremium, das eine intensive Diskussion führen, in die Öffentlichkeit hineinwirken, politische Entscheidungsträger beraten und als deutsche Stimme im internationalen Konzert mitspielen soll. Dies geschieht zum Beispiel, indem der Rat die möglichen Auffassungen zu einem Thema so stark kondensiert, bündelt und darauf aufbauend Empfehlungen ausspricht, dass Politiker Entscheidungen auf einer guten Grundlage treffen können.
Wer hat eigentlich die Themen ausgewählt, die im Ethikrat besprochen wurden?
Die Themen hat sich der Ethikrat selbst gewählt. Natürlich gab es ausführliche Gespräche, welche Fragen dringlich sind und in welcher Reihenfolge sie behandelt werden sollten.
Wenn Naturwissenschaftler, Juristen, Theologen und Fachleute anderer Disziplinen an einem Tisch sitzen und diskutieren, gibt es wahrscheinlich eine Menge Auseinandersetzungen?
Die Sichtweise einer einzelnen Disziplin reibt sich mit derjenigen einer anderen oft. Es war ein Vorteil der Arbeitsgruppen, dass man die Unterschiede intensiv durchdiskutieren und dadurch viel voneinander lernen konnte. Wenn ein Soziologe den Begriff der Selbstbestimmung benutzt, hat er eine andere Konnotation, als wenn das ein Philosoph oder ein Jurist tut. Unter den Juristen ist es sogar unterschiedlich, je nachdem, ob es von einem Strafrechtler oder Verfassungsrechtler vorgebracht wird. Ich habe die Arbeit als produktives interdisziplinäres Miteinander empfunden. Man muss sich das aber nicht immer einfach vorstellen!
Christiane Woopen
Die Medizinerin arbeitet am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln. Christiane Woopen war ab 2001 Mitglied des Nationalen Ethikrats und wurde jetzt in den Deutschen Ethikrat berufen.
Und wie findet man dann einen Konsens?
Keine Disziplin darf für sich in Anspruch nehmen, dass sie die ausschlaggebende Sichtweise auf das Thema hat. Der Ethikrat hat nur über Themen gesprochen, die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind. Sie betreffen die Lebenswirklichkeit der Menschen - und die ist ja nicht durch eine einzelne Fachdisziplin geprägt! Aber jedes Fach kann etwas zu diesen Themen beitragen. Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist dann, dies zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Dem Ethikrat wurde von Beginn an vorgeworfen, dass er direkt von Schröder ernannt wurde. War das für Sie ein Problem?
Nein, jedenfalls nicht inhaltlicher Art. Es kam zu keiner Beeinflussung. Die Zusammensetzung des Rates und auch seine Stellungnahmen und die Mehrheitsverteilungen zeigen, dass der Ethikrat das gesellschaftliche Meinungsspektrum widerspiegelte. Alle relevanten Meinungen waren vertreten und wurden zum Ausdruck gebracht. Insofern kann man dem Ethikrat sicher nicht vorwerfen, dass er einseitig besetzt war. Politisch war es von Nachteil, dass der Bundeskanzler das Gremium direkt eingesetzt hat. Denn der Kontakt zum Parlament war tatsächlich nachhaltig getrübt und die Darstellung in einigen Medien immer wieder geprägt davon, dass der Ethikrat einen Geburtsfehler hatte. Das hat die Sicht auf die tatsächlichen Inhalte manchmal stark getrübt - leider!
Wird sich das jetzt, wenn der Deutsche Ethikrat berufen wird, ändern?
Ich hoffe es. Hilfreich ist sicher, dass es jetzt beim Parlament einen Beirat gibt, dessen explizite Aufgabe es ist, Kontakt zum Ethikrat zu halten und zwischen Parlament und Ethikrat zu vermitteln. Daher denke ich, dass der Kontakt enger wird.
Wenn Sie auf Ihre sieben Jahre im Ehtikrat zurückblicken - was sehen Sie als größten Erfolg des Gremiums an?
Ich würde mehrere Erfolge nennen. Zuerst ist eine plurale Diskussion in Deutschland selbstverständlicher und transparenter geworden. Das zweite ist die internationale Vernetzung. Die Kontakte mit anderen Ethikräten auf europäischer und internationaler Ebene wurden ausgebaut. Wir haben sogar einen Teil der Stellungnahme zu Biobanken gemeinsam mit dem französischen Ethikrat verfasst.
Ist die Diskussion in Deutschland schon selbstverständlich - oder sehen Sie noch Verbesserungsansätze?
Ich würde mir wünschen, dass die Aufklärung über Sachverhalte wie etwa die Stammzellforschung schon in den Schulen beginnt, damit die jungen Menschen mit einem breiteren Wissen in diese Debatten einsteigen können. Die Breite der Diskussion und die Pluralität möglicher Überzeugungen mit Argumenten und Gegenargumenten sollte zumindest ansatzweise vermittelt werden, um die jungen Menschen darauf vorzubereiten, dass sie sich selbst eine Meinung bilden müssen und dabei kritikfähig sein sollten. Und ich würde mir wünschen, dass ein Großteil der Diskussion noch mehr versachlicht wird.
Inwiefern?
Wenn ich manche Umfragen lese, oder Schlagzeilen, dann bin ich erschrocken über die Uninformiertheit, die dahinter steckt. Neulich bin ich auf eine Umfrage über die Stammzelldiskussion gestoßen, in der der Schluss gezogen wurde, die deutsche Bevölkerung sei gegen die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Das beruhte auf folgendem: In den Fragen kam ausschließlich vor, dass Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen hergestellt und dann getötet würden. Es wurde mit keinem Wort erwähnt, dass es sehr viele Embryonen gibt, die nach medizinischen Behandlungen nicht mehr auf eine Frau transferiert werden, die also nicht eigens für die Forschung hergestellt werden, sondern die aus völlig anderen Gründen "übrig" bleiben.
Und dann eingefroren werden?
Ja. Oder verworfen, also vernichtet. In Deutschland wird versucht, diese Zahl durch das Embryonenschutzgesetz so gering wie möglich zu halten, aber in anderen Ländern gibt es sie in großen, großen Mengen. Stellt man den Menschen die Frage, ob sie eine Forschung an solchen Embryonen, die gar nicht mehr eingesetzt werden können, für vertretbar halten, antworten sie durchaus anders. Es besteht ein Unterschied schon in der intuitiven Reaktion, ob man sogenannte überzählige Embryonen nimmt oder Embryonen eigens für die Gewinnung von Stammzelllinien herstellt. Dies wurde in der Umfrage nicht berücksichtigt, es wurde aber eine sehr weit gehende Schlussfolgerung gezogen. Für mich ist das ein klares Beispiel einer nicht sachgerechten Diskussion.