Umstrittenes Vorgehen Israel: "Schleichende Annexion" von Gebieten im Westjordanland – unter dem Deckmantel der Archäologie

Eine archäologische Ausgrabung (Symbolbild)
Eine archäologische Ausgrabung (Symbolbild)
© gorodenkoff / Getty Images
Archäologische Ausgrabungen sind meist ein Grund zur Freude. Geplante Projekte im Westjordanland sorgen aber derzeit für Spannungen: Geht es Israel dabei wirklich um die Wissenschaft?

Archäologie ist üblicherweise eine Wissenschaft, die vor allem dazu dient, mehr über unsere Vergangenheit zu erfahren. Zudem gelingt es ihr aber oft, Menschen in ungekannte Begeisterung zu versetzen. In diesem Fall jedoch werden geplante Ausgrabung zu einem Problem: Die israelische Regierung plant derzeit nämlich, knapp 27 Millionen Euro in archäologische Projekte zu investieren. Allerdings befinden sich die Ausgrabungsstätten im Westjordanland, einem Gebiet, das von Israel militärisch besetzt wird, offiziell aber zu Palästina gehört. Unter den mehr als 600 ausgewählten Arealen liegen auch solche, die unter der Kontrolle der Palästinenserbehörde stehen. Sollten israelische Archäologen dort graben wollen, müssten sie zuerst eine Lizenz von der Behörde in Ramallah erhalten.

In der Vergangenheit haben israelische Archäolog:innen, die im Westjordanland ansässig sind, allerdings mehrfach gegen diese Anforderung verstoßen. Durch die Aufnahme dieser illegalen Projekte in die Budgetunterlagen der israelischen Regierung werden sie quasi mit einer offiziellen Bestätigung versehen.

Archäologie könnte zu Konflikten führen

Die aktuellen Pläne sind von israelischen Siedlerorganisationen herbeigesehnt worden: Sie haben darauf gedrängt, Tausende von Ausgrabungsstätten, die sich teilweise in palästinensischem Besitz befinden, "unter israelischen Schutz" zu stellen, wie sie es nennen. Durch die Erklärung solcher Gebiets zu Ausgrabungsstätten bestünde die Möglichkeit, sie den eigentlichen palästinensischen Besitzern ohne größeres Aufsehen zu entziehen – wie es bei der Gründung einer neuen Siedlung zu erwarten wäre.

Wie frühere Projekte gezeigt haben, führen derartige archäologische Vorhaben oft zur Entstehung neuer Siedlungen: Die Ausgrabungsstätten werden zu archäologischen Themenparks umgewandelt, die Tourist:innen anziehen, die wiederum nach touristischer Infrastruktur wie Unterkünften und gastronomischen Einrichtungen verlangen. Im Laufe der Zeit entstehen so auch neue Siedlerwohnungen in der Umgebung. Dies führt schrittweise zur Verdrängung der palästinensischen Grundbesitzer:innen.

Sollen palästinensische Anwohner verdrängt werden?

"Emek Shaveh", eine israelische Organisation, die sich für faire archäologische Praktiken einsetzt, betrachtet dies als eine Form der "schleichenden Annexion". Zwar sei diese Entwicklung bereits seit einiger Zeit zu beobachten und auch frühere Regierungen waren im Westjordanland aktiv, jedoch macht die rechts-religiöse Koalition unter Benjamin Netanjahu nicht einmal einen Hehl aus ihrem Vorhaben.

Die Investition in die Archäologie ziele darauf ab, "langfristig wirtschaftlich nachhaltige" Tourismusprojekte zu fördern, heißt es vonseiten der israelischen Regierung. Doch ausgerechnet Amichai Eliyahu, ein Hardliner, ist "Minister für kulturelles Erbe" und somit der oberste Aufseher aller Ausgrabungen in Israel. Eliyahu hat erklärt, dass er bestrebt sei, das jüdische Erbe auf beiden Seiten der Grünen Linie zu bewahren – einschließlich des besetzten Westjordanlands. Kritiker befürchten, dass die Logik dahinter sei: Je mehr archäologische Funde darauf hindeuten, dass Juden einst in dieser Region gelebt haben, desto klarer würde Israels Recht, das Territorium für seine eigenen Zwecke zu nutzen.

Quellen:  "Frankfurter Rundschau", AFP

wt

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