Kopfwelten Benedikt, der Unveränderte

Der Papst verwendet den Begriff "Kondom", und schon glauben viele, er habe die römische Revolution ausgerufen. Tatsächlich hat Benedikt die Position der Kirche bekräftigt.

Es scheint so etwas wie ein Fluch auf Joseph Ratzinger zu liegen. Immer wieder wird ihm unterstellt, es gäbe tiefe Brüche in seinem Leben und Denken. Bei seiner Wahl zum Papst war das schon so, als er sich angeblich vom beinharten Großinquisitor zum guten Hirten gewandelt hatte. Und zuvor auch, als Professor Ratzinger vermeintlich fortschrittliche Positionen gegen fundamentalistische eingetauscht hatte. Nun also wieder zurück ins Liberale. Da erscheint in diesen Tagen ein neuer Interviewband, dessen kompletten Inhalt noch kaum jemand kennt. Und es reichen schon ein paar aus dem Zusammenhang gelöste Sätze mit passenden Reizwörtern, um die halbe Welt in Aufregung und Erstaunen zu versetzen. Eine Revolution im Vatikan wollen einige beobachtet haben. Von einer Kehrtwende des lehramtlichen Kurses der Kirche fabulieren erregt andere.

Und warum? Weil der Papst in besagtem Buch angeblich den Gebrauch von Kondomen in einigen wenigen begründeten Fällen "erlaubt". Bei Strichern vielleicht. Und zwar als erster Schritt auf dem Weg in ein sittlich gefestigtes Leben, "ein erster Schritt zu einer Moralisierung". Die steht erst am Ende des Weges und wie das Leben dann nach vatikanischem Verständnis auszusehen hat, sagt der Papst auch. Doch das bleibt im Überschwang unzitiert: abstinent - Schluss mit dem Geschnacksel. An der offiziellen Haltung, dass Sex und katholische Moral nur in der Ehe ein Paar sein können, hat sich nichts und wieder nichts geändert.

Frank Ochmann

Der Physiker und Theologe verbindet als stern-Redakteur natur- und geistes­wissenschaftliche Interessen und befasst sich besonders mit Fragen der Psychologie und Hirnforschung. Mehr auf seiner Homepage.

Aus Publicity-Panne gelernt

Vorausgesetzt wird dabei natürlich auch weiter, dass die Partner heterosexuell sind und nicht nach einer Scheidung ein weiteres Mal heiraten wollen. Daran könnte Benedikt auch gar nichts ändern, denn er und seine Getreuen halten solche Setzungen für "Naturrecht", also für göttlich und ewig. Glaubt wirklich jemand, der Papst wandle sich gerade zum Ketzer?

Vor knapp zwei Jahren sprach der Papst von der "sprungbereiten Feindseligkeit", die er bei seinen Gegnern ausmache. Damals hatte er die erzkonservativen Piusbrüder wieder in die katholische Kirche aufgenommen, weil sie den Primat des amtierenden Papstes anerkannt und um Versöhnung gebeten hatten. Als dabei ein Holocaustleugner ebenfalls heimkehrte, weil man es im Vatikan angeblich versäumt hatte, das Gedankengut der Rechtsausleger hinreichend zu prüfen, schlug dem Papst eine Welle des Protestes entgegen. Aus dieser Publicity-Panne hat er offenbar gelernt und den diagnostizierten Reflex im Lager gegenüber der katholischen Kirche diesmal für sich selbst genutzt. Denn er weiß ja, kaum spricht ein Pontifex auch nur am Rande über Sex, ist ihm - pro oder contra - weltweite Aufmerksamkeit sicher.

Ein Spaß zum Christkönigsonntag

Und so legt das vatikanische Zentralorgan, der "Osservatore Romano", die Reizwörter wie Köder aus. Die Medien laufen heiß, alle Welt spricht vom anstehenden Verkauf des neuen Buches mit dem vermeintlich revolutionären Inhalt - und dann ist es auch schon genug. Mehr war nicht beabsichtigt. Und so pfeift der Sprecher des römischen Pontifex die Meute flugs zurück: Nein, keine Revolution, seien die Äußerungen, sondern allenfalls eine "mutige" Klarstellung bei selbstverständlich voller Wahrung der Tradition.

Wo, bitte, geht's zur Revolution? Ein schöner Spaß zum Christkönigsonntag, das Ganze. Wie sagt Peter Seewald, Benedikts Interviewer: "Er hat einen sehr hintergründigen Humor, man kann gut mit ihm lachen." So wird die gerade in Rom versammelte Kardinalsschar beim brüderlichen Zusammensein mit ihrem Oberhaupt sich wohl köstlich amüsiert haben angesichts so viel weltlicher Einfalt. Und die offenbart sich überall da, wo mit dem Glauben auch gleich das Wissen verdunstet ist.

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