Wie es scheint, ist die Zeit der wachsenden Bedrohung durch Brustkrebs in Deutschland überstanden: Nachdem seit den 1950er Jahren die Zahl der an Brustkrebs erkrankten Frauen und auch die der Todesopfer zugenommen hatte, haben beide Kurven Ende der 1990er ihren Höhepunkt überschritten. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts sind im Jahr 2000 knapp 47 500 Frauen an Brustkrebs erkrankt - 1995 waren es 4500 mehr. Die Zahl derer, die jährlich an Brustkrebs sterben, ist zwischen 1995 und 2002 ebenfalls gefallen, um knapp 900 auf 17 800. Auch bei jungen Frauen geht das Risiko zurück: 1995 waren 12 von 100 neu erkrankten Brustkrebspatientinnen jünger als 45, 2000 waren es nur noch zehn. Über die Ursachen des aktuellen Rückgangs rätseln die Experten noch. Sind womöglich verbesserte Lebens- und Ernährungsgewohnheiten die Ursache, weniger Umweltgifte oder niedriger dosierte Hormonpräparate? Eine belegbare Antwort steht noch aus. Den jahrzehntelangen Anstieg zuvor hatten Wissenschaftler vor allem mit veränderter Familienplanung erklärt: Frauen bekommen später und weniger Kinder, die sie dann auch seltener stillen. Alle drei Faktoren erhöhen die Tumorgefahr. Auch die zunehmende Verbreitung von Pille sowie Hormonpräparaten für die Wechseljahre fügte sich ins Bild wachsender Gefährdung. Wenn eine Frau sehr jung an Brustkrebs erkrankt, kann seit jeher auch ein erblich bedingtes Risiko im Spiel sein. Doch das ist die Ausnahme: Der Anteil aller Frauen, bei denen ein Gendefekt für den Tumor verantwortlich ist, wird auf etwa fünf Prozent geschätzt, hierzulande wären das etwa 2500 Patientinnen pro Jahr. Die Brustkrebs-Früherkennung konzentriert sich heute ganz auf die Mammografie, die regelmäßige Röntgenuntersuchung der Brust. Grund dafür sind internationale Analysen, nach denen Verfahren, die bisher ebenfalls empfohlen wurden, wie Ultraschall oder Abtasten der Brust, allenfalls als ergänzende Untersuchung sinnvoll sind.
"Es gibt keine Belege dafür, dass Selbstabtasten das Risiko verringert, an Brustkrebs zu sterben", resümierten 2002 Experten der Weltgesundheitsorganisation. Gemeint ist nicht, dass es keinen Sinn habe, sich selbst zu untersuchen: Das Urteil der WHO bezieht sich auf das Ziel jeder organisierten Früherkennung, die
Heilungswahrscheinlichkeit
messbar zu steigern. Was bei dieser Methode zur Tumor-Entdeckung, im Vergleich mit eher zufälligem Bemerken, nicht der Fall sei. Eine Studie an 266 000 Chinesinnen ergab, dass von Frauen, die sich regelmäßig selbst nach vorgegebenem Verfahren abtasten, ebenso viele an Brustkrebs sterben wie von jenen, die auf diese Selbstuntersuchung verzichten. Während andere europäische Länder wie Schweden und die Niederlande seit den 1980er und -90er Jahren landesweite Mammografie-Reihenuntersuchungen anbieten, ist solch ein System in Deutschland derzeit im Aufbau. Bislang zahlten die Kassen nur für Frauen, bei denen, etwa im Rahmen anderer Untersuchungen, ein verdächtiger Knoten aufgefallen ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass manche Ärzte Patientinnen zur kostenlosen Untersuchung verhalfen, indem sie solch eine "Auffälligkeit" im Befund notierten. Insgesamt lassen jährlich etwa zwei Millionen Frauen zwischen 35 und 70 Jahren eine Mammografie machen. Dieses "graue System" hat jedoch den Nachteil, dass keine
Qualitätssicherung
stattfindet und nach der Mammografie beispielsweise bei zu vielen Frauen fälschlich Krebs diagnostiziert wird.
In den nächsten Monaten sollen bundesweit etwa 80 spezialisierte "Früherkennungszentren" die Arbeit aufnehmen. Frauen zwischen 50 und 69 werden vom Jahresbeginn 2006 an alle zwei Jahre eine Einladung zur kostenlosen Mammografie erhalten. Ziel: die Zahl der Brustkrebsopfer pro Jahr um 3500 zu verringern. Es gelten dabei strenge Qualitätsvorschriften, die bislang nur eine Minderheit der deutschen Ärzte erfüllt. Radiologen und Gynäkologen, die an dem Programm teilnehmen möchten, müssen in Prüfungen nachweisen, dass sie auf Röntgenbildern Brustkrebs nur selten übersehen und nicht mit gutartigen Veränderungen verwechseln. Pathologen lernen in Kursen anhand von Gewebeproben besser zu erkennen, wie sich verschiedene Tumorformen unterscheiden. Mancher Experte setzt darauf, dass diese Kurse der gesamten Brustkrebsmedizin einen Schub geben. "Die Einführung des Mammographie-Programms wird die gesamte Qualität der Versorgung von Brustkrebspatientinnen verbessern", hofft der Pathologe Werner Böcker von der Universität Münster. Signifikanten Erfolg kann das geplante Programm nur haben, wenn mindestens 70 Prozent der eingeladenen Frauen hingehen. Bislang liegt in Vorläuferprojekten wie in Bremen die Teilnahmerate bei 50 Prozent, in Bayern bei 30 Prozent. Manche niedergelassene Frauenärzte und Radiologen empfinden das Programm als Konkurrenz und raten ihren Patientinnen von der Teilnahme ab.
Zudem verändert sich derzeit die Art, wie Frauen über den Nutzen der Mammografie aufgeklärt werden. Bislang beruhte die Darstellung vor allem auf der nationalen Brustkrebsstatistik, derzufolge Tausende Frauen von der Untersuchung profitieren. "Diese Zahlen spiegeln aber nicht die Perspektive einer individuellen Frau wider, die vor der Entscheidung steht, ob sie eine Mammografie wahrnehmen soll oder nicht", sagt Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg - also die Entscheidung, sich auf eine Untersuchung einzulassen, die möglicherweise zu
falschen Diagnosen
mitsamt all deren Folgen führen kann. Die Professorin ist wissenschaftliche Beraterin einer Broschüre zur Mammografie, die das "Nationale Netzwerk Frauen und Gesundheit" Ende 2004 herausgegeben hat. Sie macht deutlich, dass absolut gesehen nur wenige Frauen von regelmäßiger Mammografie profitieren würden, weil die meisten ohnehin nie an Brustkrebs erkranken. Zudem: Selbst ein Tumor, der auf andere Weise entdeckt wird, ist zu
60 bis 70 Prozent heilbar.
Die Broschüre fasst die Bilanz für Frauen im Alter zwischen 50 und 70 in Zahlen: Demnach sterben von 1000 Frauen, die nicht an einer Mammografie teilnehmen, etwa acht innerhalb von zehn Jahren an Brustkrebs. Gingen alle 1000 Frauen zehn Jahre lang regelmäßig zur Mammografie, verringerte sich diese Zahl auf sechs. "Dass letztlich nur zwei von 1000 Frauen profitieren, wirkt auf den ersten Blick enttäuschend", sagt Ingrid Mühlhauser. "Doch nur solche Zahlen erlauben einer Frau, den Nutzen neutral bewerten zu können".