Das kleine Holland braucht dringend mehr Platz für seine fast 17 Millionen Einwohner, eine Zahl, die bis 2030 noch stark zunimmt. Einerseits durch eine steigende Geburtenrate und andererseits durch Einwanderung. Eine von der Regierung ernannte Innovationsplattform von Experten ist eifrig dabei, Ideen zu entwickeln, damit all diese neu zu erwartenden Bürger tatsächlich ein Dach über dem Kopf haben werden. Zwar gibt es noch bebaubare Hektare in den sogenannten Ijsselmeerpoldern, wo aus der Zuidersee Land gewonnen wurde, das sind jedoch inzwischen Natur- und Agrargebiete, die man nicht dem Wohnungsbau opfern möchte. Grün zählt in Holland.
Also liegt es auf der Hand, nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Das Gremium der Sachverständigen holte eine alte Idee aus der Mottenkiste: eine Halbinsel in der Nordsee bei Den Haag, damit die Großstadt den anwachsenen Einwohnerstrom tatsächlich in den Griff bekommen kann.
Watteninseln in Tulpenform
Es ist ein Plan, der schon vor zwanzig, dreißig Jahren einmal auf dem Tisch lag, später aber verworfen wurde. Wahrscheinlich, weil er einfach zu teuer gewesen wäre. Aber die internationale Wirtschaftslage hat sich seitdem drastisch verändert. Berechnungen ergaben, dass heutzutage eine umfangreiche Landgewinnung auf Dauer Geld bringen, statt kosten würde. Aus dem alten Konzept der Halbinseln entwickelt man nun eine abenteuerliche Variante: Eine Reihe zukünftiger Watteninseln in der Form von Tulpen sollte in der Zukunft genug Raum bieten für tausende Häuser, Wohnungen, Bürogebäude, Betriebshallen und was sonst noch Platz für Ausbreitung brauchen würde. Auch Hotels, Zeltplätze, Gastwirtschaften, Freizeitparks sollen auf den Inseln zu finden sein. Die Vermarktung dieses Neulands gegen heutige Preise wäre ein lukratives Milliardengeschäft, stellte sich bei ersten Berechnungen heraus.
Premier Jan-Peter Balkenende befürwortete das besondere Projekt. "Wir sollten dann gleich groß denken. Wasserbau und Landgewinnung sind bei uns Tradition". Er wies daraufhin, dass niederländische Baggerbetriebe absolute Weltklasse sind. "Der Sandkasten ist ihr natürliches Biotop". Für sie sei es eine leichte Aufgabe, Inselgruppen aus dem Meer zu gewinnen. Und es sei eine alltägliche Arbeit - siehe Dubai, den Flughafen von Singapur, die Rekonstruktion der Deltas von New Orleans. All diese Anlagen, die Glanzleistungen der Hydrotechnik darstellen, realisierten niederländische Firmen. "Wir wollen Flagge zeigen, der Welt klarmachen, dass wir in dieser Sparte die Besten sind", so der niederländische Ministerpräsident.
Schutz für Hollands Hinterland
Die in der Nordsee geplanten Inseln sollten nicht nur die wachsende Bevölkerung und den wichtigen Tourismus auffangen. Wichtig sei, dass sie das Hinterland Hollands gegen den fast jährlich steigenden Meeresspiegel schützen. Der Pegel klettert in die Höhe. Das löst erhebliche Gefahren aus, wenn die Klimaveränderung weiter fortschreitet. Die Zeit sei gekommen, dagegen vernünftige Maßnahmen zu ergreifen. Und genau dabei könnte das künstliche Archipel helfen. Wenn alles beim Alten bleibt, könnte die Nordsee zwei Drittel der Niederlande überschwemmen, denn dieser Teil liegt unterhalb des Meeresspiegels. Gleichzeitig bietet der Bau der Kunstinseln die Möglichkeit einer nachhaltigen Energieerzeugung durch die Kraft von Ebbe und Flut.
Aber es bleibt die wichtige Frage: Wer zahlt die Zeche? Die Haager Regierung rückt nur Geld heraus, wenn die Wirtschaft ebenfalls das Portemonnaie zückt. Bei Banken, Investoren, Baggerfirmen, Ingenieurbüros wird jetzt scharf kalkuliert, um die entstehenden Kosten auf die Reihe zu bekommen. Es geht um Milliarden. Für diese Summe kann man die Niederländer vor einer Überschwemmung wie der im Jahr 1953 schützen; damals kamen 1850 Menschen in den Fluten ums Leben. "Das Volk hat mehr Angst vor dem Wasser als vor dem Terrorismus", ergab eine Umfrage. Dieses Mal hat der Inselplan also eine reelle Chance.