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Umwelt Fünf Irrtümer über den Artenschutz

Je mehr Flächen unter Naturschutz gestellt werden, desto besser! Oder etwa nicht? Der Biologe Josef H. Reichholf hat in einem Thesenkatalog die wichtigsten Fehleinschätzungen zum Artenschutz zusammengefasst.

Josef Reichholf, 63, ist einer der profiliertesten Biologen Deutschlands. Er lehrt Naturschutz an der TU München und leitet die Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München. In einem kurzen Thesenkatalog erklärt er unter anderen, warum die Landwirtschaft die Artenvielfalt so stark bedroht und wieso der Schutz des Blaukehlchens in Deutschland nicht so wichtig ist wie der des Rotmilans.

1. Es ist wichtig, alle Arten in Deutschland zu erhalten.

Es müssen nicht alle Arten in jedem Land geschützt werden. Der Schutz sollte sich auf Arten konzentrieren, die nur in einem begrenzten Gebiet vorkommen. Ein Beispiel sind Greifvögel: In Deutschland lebt die Hälfte aller weltweit vorkommenden Rotmilane. Der Rest verteilt sich relativ dünn auf Südwesteuropa und das Baltikum. Für diesen Vogel tragen wir daher viel größere Verantwortung als beispielsweise für den Seeadler, der auch in anderen Ländern weit verbreitet ist. Nicht so wichtig sind bei uns viele Vögel, die ein großes Verbreitungsgebiet im gesamten nördlichen Europa und Asien haben. Beispielsweise würden Blaukehlchen und Rotkehlchen nicht aussterben, wenn es sie in Deutschland nicht mehr gäbe. Genauso wenig Steinadler oder Biber.

2. Die größte Bedrohung für die Artenvielfalt ist der Klimawandel.

Es ist keine einzige Art bekannt, die in den vergangenen Jahrzehnten nachweislich durch den Klimawandel ausgestorben ist. Der schlimmste Artenkiller ist die Landwirtschaft. In Mitteleuropa etwa fördert die Überdüngung ganz bestimmte Pflanzen wie Löwenzahn und dichtwüchsige Gräser. Das nimmt anderen Arten die Lebensmöglichkeit. Über das Grundwasser gelangen nitrathaltige Nährstoffe aus dem Dünger in die Gewässer und begünstigen dort einseitig bestimmte Einzeller, vor allem Cyanobakterien. Dadurch sind Flusskrebse und Muscheln selten geworden, ebenso Kleinfische wie Stichlinge oder Bitterlinge. Auch weltweit schrumpfen die Lebensräume durch die im großen Stil betriebene Landwirtschaft. So werden in Brasilien jeden Tag riesige Regenwaldflächen gerodet - um Soja oder Mais anzubauen, die als Tierfutter in die EU oder nach China exportiert werden.

3. Zuerst müssen die Menschen in armen Ländern genug zu essen haben, dann können sie sich um Artenschutz kümmern.

Naturschutz und Landnutzung schließen sich überhaupt nicht aus. Bei uns in Europa herrschte im 17. und 18. Jahrhundert oft große Hungersnot, jeder nutzbare Quadratmeter wurde umgepflügt, die Böden waren völlig übernutzt. Aber der Artenreichtum war größer als heute: Es gab viele kleine Felder mit unterschiedlichen Nutzpflanzen, also unzählige verschiedene Biotope. Und heute gelingt Artenschutz selbst in armen Ländern. Costa Rica etwa schafft es, seine Wälder zu schützen. Dieser Staat leistet sich nämlich seit Jahren keine Armee mehr und investiert stattdessen in soziale Aufgaben wie Wasserversorgung, Hygiene und Schulbildung. Das ermöglicht es den Menschen, den Artenreichtum ihres Landes zu erkennen, wertzuschätzen und mit Tourismus Geld zu verdienen. Oder nehmen Sie das Beispiel Indien: Dort schrumpft der Wald, die Menschen drängen in die Schutzgebiete vor. Dennoch erhält das Land seine Großtiere. Indien riskiert die Erhaltung des Tigers, obwohl Menschen von Tigern getötet werden. Auf Staatskosten wird Getreide an die überwinternden Kranichschwärme verfüttert, damit sie nicht die benachbarten Felder der armen Bauern plündern. Da ist uns Indien weit voraus. Der Egoismus hierzulande ist ungleich größer. Wir denken immer, der Mensch stehe über der Natur und sei etwas ganz Besonderes. Man muss aber kein strenggläubiger Hindu sein, um zu akzeptieren, dass auch andere Lebewesen ein Daseinsrecht haben.

4. Deutschland kann nichts tun, um die Zerstörung von Lebensräumen in armen Ländern aufzuhalten.

Wir haben mindestens zwei Möglichkeiten: Zum einen könnten wir viel durch bilaterale Verhandlungen erreichen. Entwicklungshilfe sollte an Bedingungen geknüpft sein. Als Gegenleistung für Fördergelder sollten die Geberländer verfügen dürfen, dass bestimmte Flächen, zum Beispiel Tropenwälder, geschützt und erhalten werden müssen. Das wird dann von deutschen Experten vor Ort kontrolliert. Werden die Schutzauflagen missachtet, muss auch die Entwicklungshilfe zurückgezahlt werden. Zweitens: Wenn Deutschland nur die Menge an Vieh produzieren würde, die wir durch unsere eigenen Weiden und Äcker ernähren können, müssten wir den Rest importieren, zum Beispiel hochwertiges Rindfleisch aus der argentinischen Pampa. Das würde sich für beide Seiten lohnen: Für Deutschland wäre es billiger, direkt Rindfleisch zu importieren als eine vielfache Menge an Futtermitteln, aus denen dann hierzulande Fleisch entsteht. Argentinien würde für das hochwertige Produkt Fleisch pro Kilo deutlich mehr Geld bekommen als für billigen Sojaschrot. Und automatisch würden riesige Flächen frei, für die heimische Landwirtschaft und für den Naturschutz.

5. Je mehr Flächen unter Naturschutz gestellt werden, desto besser.

Qualität ist hier wichtiger als Quantität. Es sollte durchaus Tabuzonen geben, etwa solche Gebiete, die in unserem Land einzigartig sind oder die in Europa etwas Besonderes darstellen: Buchenwälder, Quellen und Bäche der Mittelgebirge oder isolierte Seen wie die Maare in der Eifel. Aber ein kleines Eckchen am Baggersee abzutrennen und zum Biotop zu erklären, ist Unsinn. Solche Flächen sind zu klein, um schützenswerte Arten zu erhalten.

Aufgezeichnet von Nicole Heißmann und Helen Bömelburg print

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